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12. August 2024

Wir stimmen ab: Reform der beruflichen Vorsorge 

Am 22. September stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung unter anderem über die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) ab. Dieser Blogbeitrag bietet dir einen Überblick über die wichtigsten Fakten und erklärt dir das komplexe Thema auf verständliche Art und Weise. 

Die Schweiz hat ein einmaliges Altersvorsorgesystem, das sogenannte 3-Säulen-System. Während die für alle obligatorische AHV die 1. Säule bildet (staatliche Vorsorge), ist die 3. Säule hingegen rein fakultativ (private Vorsorge). Die 2. Säule, die berufliche Vorsorge (Pensionskasse), soll nun reformiert werden, da ihre Finanzierung nicht mehr ausreichend gewährleistet ist. Nachfolgend erfährst du mehr über die Funktionsweise der 2. Säule, die Reformideen sowie die Argumente der Pro- und Contra-Seiten.

Was ist die Pensionskasse?

Die Pensionskasse (PK) oder berufliche Vorsorge stellt die 2. Säule der Schweizer Altersvorsorge dar (mehr dazu siehe hier). Die berufliche Vorsorge hat als 2. Säule neben der AHV als 1. Säule die Aufgabe, den Versicherten die Fortsetzung ihres bisherigen Lebensstils in angemessener Weise zu ermöglichen. Sie strebt dabei das Ziel an, mit der 1. Säule zusammen ein Renteneinkommen von rund 60 Prozent des letzten Lohnes zu erreichen. Bei der beruflichen Vorsorge wird Geld für Arbeitnehmer:innen mit einem Jahreseinkommen von derzeit mind. 22’050 CHF individuell gespart. Das bedeutet, dass hier grundsätzlich keine Umverteilung wie in der AHV vorgesehen ist. 

Die PK-Beiträge werden hälftig von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden einbezahlt und dienen der persönlichen Absicherung im Rentenalter. Deshalb sind sowohl die zu Arbeitszeiten zu bezahlenden Beiträge als auch die Leistungen nach Renteneintritt individuell verschieden. Bis zur Pension hat jede berufstätige Person ein persönliches Altersguthaben angespart. Jede pensionierte Person hat anschliessend die Möglichkeit, die PK-Leistungen entweder in Form einer monatlichen Rente zu beziehen oder das ganze angesparte Geld auf einmal ausbezahlt zu bekommen. Auch eine Kombination von beidem ist möglich. Wer sich für die monatliche Rente entscheidet, erhält diese entsprechend des geltenden Umwandlungssatzes der entsprechenden Vorsorgeeinrichtung (s. Infobox).

Selbständig Erwerbstätige können Beiträge freiwillig entrichten – bei einem Verzicht wird diese Person im Rentenalter folglich aber auch keine PK-Leistungen erhalten. 

Eine Besonderheit der PK-Gelder ist, dass man sie unter bestimmten Bedingungen auch schon vor der Pension beziehen kann. Dies ist möglich, wenn man sich eine Immobilie kaufen möchte, wenn man sich beruflich selbstständig macht oder wenn man aus der Schweiz wegzieht.

Der Umwandlungssatz bestimmt die Höhe der Rente, welche vom angesparten Altersguthaben aus berechnet wird.

Beispiel: Beläuft sich das Altersguthaben auf 100’000 CHF und beträgt der Umwandlungssatz 6.8 %, erhält die Person pro Jahr 6’800 CHF PK-Rente.

Was möchte die Vorlage ändern?

Die BVG-Reform zielt ausschliesslich auf den obligatorischen Teil der Altersvorsorge ab, das heisst das gesetzliche Minimum. Schätzungsweise zwei Drittel der Versicherten sind jedoch überobligatorisch versichert und daher nicht von der Reform betroffen. 

Die zentralsten Änderungen bei Annahme der obligatorischen BVG-Reform würden folgende Punkte betreffen (weitere Details und Rechenbeispiele hier): 

Eine Senkung des (obligatorischen) Umwandlungssatzes von 6.8% auf 6%:
Das heisst, eine pensionierte Person, die lediglich eine BVG-Mindestlösung hat (d. h. nur obligatorisch versichert ist), erhält weniger Rente. Gemäss Pro-Seite ist diese Senkung gerechtfertigt und notwendig, weil sich die Lebenserwartung der Menschen seit Einführung des BVG-Obligatoriums 1985 erhöht hat und sie deswegen über mehr Jahre hinweg Rente beziehen. Damit die Pensionskassen dadurch nicht in finanzielle Schwierigkeiten geraten, muss der Betrag der Renten pro Monat gesenkt werden und so über mehr Jahre hinweg verteilt werden.
Keine Veränderung bei überobligatorisch Versicherten:
Die Mehrheit der Arbeitnehmenden mit einer überobligatorischen BVG-Versicherung ist hingegen von der BVG-Reform nicht betroffen, da solche Pensionskassen bereits tiefere Umwandlungssätze haben, die den heutigen Lebenserwartungen entsprechen.

Um die Personen, die folglich von einer tieferen Rente betroffen wären, zu schützen, sind diverse nachfolgend erklärte Ausgleichsmassnahmen vorgesehen.

Eine Anpassung des Koordinationsabzugs:
Die PK-Rente ist vom Lohn einer Person abhängig. Da jede:r zusätzlich AHV-Gelder erhält, wird vom Lohn zusätzlich ein sogenannter Koordinationsabzug vorgenommen, damit Leistungen nicht doppelt ausgezahlt werden. Folglich wird in der 2. Säule nicht der ganze Lohn versichert. Bisher betrug dieser Abzug fix knapp 26’000 CHF, unabhängig vom Einkommen. Neu soll dieser auf 20 % des jeweiligen Einkommens angepasst werden. Das bedeutet, dass Leute mit geringen Einkommen stärker profitieren, da sie verhältnismässig einen höheren Lohn in der 2. Säule angeben können und somit ein höheres Altersguthaben ansparen können.
Eine Senkung des obligatorischen Eintrittsschwelle
(d. h. dem Mindestlohn, welcher notwendig ist, um obligatorisch in eine PK einzahlen zu müssen) von bisher 22’050 CHF auf neu 19’845 CHF: Dies bedeutet, dass der Zugang zu Pensionskassen vor allem für Geringverdienende erleichtert wird, was häufiger bei Frauen und Teilzeitarbeitenden der Fall ist. Somit kann diese Bevölkerungsgruppe im Alter von einer besseren beruflichen Vorsorge profitieren. Davon wären schätzungsweise 70’000 Arbeitnehmende betroffen, welche neu Zugang zu einer PK hätten.
Eine Anpassung der Beitragssätze:
Bisher waren die PK-Beiträge je nach Altersgruppe stark verschieden. Diese Unterschiede sollen nun etwas angeglichen werden. Während 25-34 Jährige bisher 7 % ihres Lohns einzahlen mussten, wären es bei ihnen neu 9 %. Die Beitragsprozente der 35-44 Jährigen verändern sich von bisher 10 % auf 9 %, bei 45-54 Jährigen von 15 % auf 14 % und bei 55-65 Jährigen von 18 % auf 14 %.
Einführung eines Rentenzuschlags für alle:
Arbeitnehmende, die in den 15 Jahren nach Einführung der Reform in Rente gehen, die sogenannte Übergangsgeneration, sollen je nach Altersguthaben einen bestimmten Rentenzuschlag erhalten. Dieser Zuschlag beläuft sich auf maximal 200 CHF pro Monat. Dies aus dem Grund, weil die Senkung des Umwandlungssatzes bei dieser Generation nicht ausreichend kompensiert werden könnte durch die besprochenen Ausgleichsmassnahmen. Wer mehr als 441’000 CHF an Altersguthaben hat, soll keinen Rentenzuschlag erhalten. Geschätzt wird, dass 25 % der Versicherten den vollen und weitere 25 % einen reduzierten Beitrag erhalten würden.

Was sagen die Befürwortenden dazu?

Für eine BVG-Reform sind EVP, GLP, Mitte, FDP und SVP. Sowohl das Parlament als auch der Bundesrat befürworten die Annahme der Vorlage. 

Das Grundproblem, das hinter der Notwendigkeit der BVG-Reform stehe, sei, dass die berufliche Vorsorge aus dem Jahr 1982 stammt und die heutigen Lebensumstände nicht mehr den damaligen entsprechen. Die Pro-Seite argumentiert entsprechend, dass aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung sowie von finanziell ertragsschwachen Jahren der Finanzmärkte (auf dessen Einnahmen die PKs angewiesen sind, um die Renten auszuzahlen) die im Obligatorium angesparten Altersguthaben nicht mehr ausreichen, um die Renten zu bezahlen. Das bedeutet, dass PKs, welche nur dieses gesetzliche Minimum auszahlen, auf Gelder von zukünftigen Renten (d. h. von aktuell noch Erwerbstätigen) angewiesen sind. Dies nennt man Quersubventionierung oder Umverteilung und führt dazu, dass künftige Rentner:innen von tieferen PK-Renten betroffen sein werden. Dies sei ungerecht und entspreche nicht dem PK-Grundgedanken, argumentiert die Pro-Seite, und verlangt daher die Senkung des aktuell überhöhten Umwandlungssatzes.

Eine Person verfügt bei der Pensionierung über ein Altersguthaben von 1 Mio. CHF; das BVG-Altersguthaben beträgt lediglich 350’000 CHF, da die Pensionskasse der entsprechenden Gesellschaft freiwillig überobligatorische Beiträge erhoben hat, die wie bereits erwähnt, paritätisch bezahlt werden (d. h. gleichermassen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer:in). Die Pensionskasse hat einen Umwandlungssatz von 5.1 % und der gesetzliche Umwandlungssatz für das BVG-Altersguthaben beträgt 6.8 %. Die Rente beträgt somit:

  • 5.1 % von 1 Mio. CHF = 51’000 CHF pro Jahr
  • Die Schattenrechnung des BVG-Altersguthaben ergibt eine tiefere Rente, nämlich 6.8 % von 350’000 CHF = 23’800 CHF

Die Person ist somit von einem tieferen gesetzlichen Umwandlungssatz nicht betroffen, da der Rentenanspruch auf dem gesamten Guthaben den Rentenanspruch auf dem BVG-Altersguthaben übersteigt.

Trotz der Senkung des Umwandlungssatzes seien gemäss Pro-Seite die Ausgleichsmassnahmen ausreichend, um möglicherweise entstehende Benachteiligungen ausreichend zu kompensieren. Im Speziellen trage auch die Senkung der Beitragssätze von älteren Arbeitnehmenden dazu bei, ihre Situation im Arbeitsmarkt zu verbessern, da sie für Arbeitgeber weniger unattraktiv werden, da letztere ja gleichermassen für diese PK-Beiträge aufkommen müssen. Somit kann auch das Risiko der Arbeitslosigkeit im höheren Alter gesenkt werden. 

Insgesamt meinen die Befürwortenden, dass das Leistungsniveau der obligatorischen beruflichen Vorsorge durch die Reform insgesamt aufrechterhalten werden könne, sich aber bei Tiefverdienenden sogar verbessern sollte. Namentlich sollen vor allem Teilzeitangestellte (v.a. Frauen), Niedrigverdienende, Junge und ältere Arbeitnehmende profitieren – während Pensionierte nichts verlieren. Sollte die Reform abgelehnt werden, sei das bewährte 3-Säulen-Prinzip der Schweizer Altersvorsorge gefährdet. 

Was sind die Argumente der Gegner:innen?

Gegen die BVG-Reform haben sich die SP und Grünen ausgesprochen und das Referendum gegen die Vorlage ergriffen.

So befürchtet beispielsweise die SP, dass infolge der BVG-Reform ein Rentenabbau stattfinde. Sie ist auch der Meinung, dass die Pensionskassen seit dem Ende der Minuszinsen (2022) finanziell wieder gut abgesichert seien und die Reform daher nicht mehr notwendig sei. 

Die Contra-Seite anerkannt zwar, dass die Reform vor allem Frauen und z. B. Niedrigverdienenden, Teilzeitarbeitenden und Menschen mit Berufsunterbrüchen Vorteile bringen wird, diese Verbesserungen jedoch minimal seien. Weil diese Bevölkerungsgruppen jedoch während der Erwerbszeit höhere Beiträge leisten müssen, bliebe ihnen während des Arbeitslebens weniger Geld. Und aufgrund der tiefen Einkommen seien sie im Rentenalter ohnehin häufiger auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Die Grünen fordern stattdessen explizit die Verbesserung der Rentensituation von Frauen anstelle der BVG-Reform.

Weiter bemängelt die SP, dass die BVG-Reform auch Systemfehler nicht angehen würde. Beispielsweise hätten nur wenige Pensionskassen die Inflation (d. h. die Teuerung) ausgeglichen, was zu einem Kaufkraftverlust geführt hat. Mit dem gleichen Geld können sich Leute heute also weniger Produkte leisten als früher. Ausserdem seien die Vermögensverwaltungskosten weiterhin viel zu hoch.

Erstellt von Sophie Ruprecht