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2. September 2022

Wir stimmen ab: Initiative gegen Massentierhaltung in der Schweiz

Ende September stimmt die Schweiz über vier nationale Vorlagen ab, unter anderem auch darüber, ob Massentierhaltung in der Schweiz verboten werden soll. Discuss it hat mit Lucia Arnold vom Komitee gegen Massentierhaltung sowie Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands, über die Massentierhaltungsinitiative (MTI) gesprochen.

Dieses Jahr beschäftigt sich die Schweizer Stimmbevölkerung auch nach dem Ende der Grillsaison noch intensiv mit Fragen rund um Fleisch und Grillkäse: Am 25. September 2022 stimmen wir nämlich darüber ab, ob in der Schweiz inskünftig nur noch Fleisch nach Bio-Standard angeboten und Massentierhaltung infolgedessen verboten werden soll. In diesem Blogbeitrag erfährst du mehr über die aktuellen Rahmenbedingungen des Tierhaltungsgesetzes sowie die mit einer Annahme der Initiative verbundenen Veränderungen. Ausserdem kommen Stimmen des Pro- und Contra-Lagers zur Sprache. 

Wie sieht der Status Quo aus?

Laut Bund kennt die Schweiz schon heute eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt, welches auch Tiere der Landwirtschaft umfasst. Ausserdem werden gemäss Schweizer Verfassung Betriebe seit über 25 Jahren finanziell unterstützt, wenn sie «naturnah, umwelt- und tierfreundlich» produzieren, was bereits dazu geführt hat, dass immer mehr landwirtschaftliche Tiere in tierfreundlichen Ställen gehalten und ihnen Weidezugang gewährt wird. Während 2010 z.B. erst ca. 45 Prozent der Nutztiere in besonders tierfreundlichen Ställen untergebracht waren, waren es zehn Jahre später schon über 60 Prozent. Grundsätzlich ist eine Voraussetzung für staatliche Direktzahlungen (auch “Subventionen” genannt) an Landwirtschaftsbetriebe die Einhaltung des Tierschutzrechts.

Zudem ist die Missachtung der Tierwürde im breiten Sinne (z.B. Misshandlung oder Vernachlässigung) schon heute verboten und streng reguliert. Ein Tier, so das Gesetz, gehört unabhängig von der Betriebsgrösse als Individuum geschützt. Auch die maximale Anzahl Tiere pro Betrieb ist vorgeschrieben, was jedoch primär dem Umwelt- und nicht dem Tierschutzgedanken geschuldet ist. Dennoch gibt es Stimmen, die sagen, dass diese Regelungen nicht weit genug gingen – als Folge dessen wurde die Massentierhaltungsinitiative lanciert und eingereicht.

Was verlangt die Abstimmungsvorlage?

Die zentrale Forderung der Initiative besteht darin, die Tierwürde stärker zu respektieren, was durch ein Verbot der Massentierhaltung im Sinne eines Verbots der «industriellen Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse» angestrebt werden soll. Für Betriebe würden Übergangsfristen von 25 Jahren gelten, um sicherzustellen, dass ihnen genügend Zeit für die Umstellung bliebe.

Sollte die Initiative von der Stimmbevölkerung gutgeheissen werden, müsste der Bund strengere Mindestanforderungen festlegen, wobei der Bio-Suisse-Standard von 2018 als Minimum definiert wäre. Diese Regeln würden nicht nur für die Schweizer Fleisch-, Milch-  und Eierproduktion gelten, sondern auch Importe sämtlicher tierischer Produkte aus dem Ausland betreffen.

Die Bio-Suisse-Richtlinien sind sehr umfassend und können hier vollständig nachgelesen werden. Relevant für diese Initiative ist der Abschnitt zur Tierhaltung.

Grundsätzlich steht Bio-Suisse für einen verantwortungsbewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen sowie eine artgerechte Tierhaltung. Kurz zusammengefasst gehen sie über die Minimalanforderungen des Schweizer Tierschutzrechts hinaus und schreiben Bio-Betrieben strenge Bedingungen der Tierhaltung vor. Diese betreffen z.B. die maximale Anzahl, Fütterung und Auslauf der Nutztiere.

Was sind die Argumente der Befürwortenden?

Wie von der Initiative gefordert, steht für die Befürworter:innen in erster Linie die Verbesserung des Tierwohls im Vordergrund. Lucia Arnold vom Komitee gegen Massentierhaltung betont zum Beispiel, dass mit der MTI garantiert werden soll, dass jedes Tier, auch solche der Landwirtschaft, ein Leben in Würde führt. Die Tatsache, dass heute zum Beispiel ein Mastpoulet mit bis zu 27’000 anderen Hühnern in einer Halle lebt und während 30 Tagen hochgemästet wird, um anschliessend geschlachtet zu werden, sei stossend.

Die Befürworter:innen argumentieren zudem, dass laut Bundesrat nur die industriellen Grossbetriebe vom Massentierhaltungsverbot betroffen wären, welche heute die traditionellen Bauernhöfe verdrängen. Die Initiative würde letztere wiederum stärken. Ein Ausstieg aus der Massentierhaltung könnte zudem die Gefahr von Krankheitsausbrüchen, Pandemien und zu hohem Antibiotikaeinsatz reduzieren.

Die von der Gegenseite kritisierten Importregeln seien zudem nötig, um Schweizer Bäuerinnen und Bauern dem Ausland gegenüber nicht schlechter zu stellen und sie zu schützen. Indem Schweizer Nutztieren der Zugang zu Weiden gewährt wird, könne ausserdem der Import von Futtermitteln gesenkt werden.

Was sind die Argumente der Gegner:innen?

Laut Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands, sei die Initiative unnötig und schädlich, weil die Schweiz schon heute Tierhaltung verbietet, welche das Tierwohl missachte. Überdies monieren die Gegner:innen, dass das Verbot auch den Import tierischer Produkte wie Fleisch, Käse oder Schokolade beträfe, was unter anderem bestehende internationale Handelsabkommen verletzen würde. Um die Einhaltung dieser Regeln zu gewährleisten, müsste der Bund zudem ein aufwendiges und teures Kontrollsystem aufbauen.

Ausserdem hätte die Initiative auch für die landwirtschaftlichen Betriebe negative Konsequenzen: Über 3000 Betriebe müssten ihren Tierbestand oder ihre Betriebsflächen reduzieren, was mit höheren jährlichen Kosten im Bereich von geschätzten 0.5-1 Mrd. CHF verbunden wäre. Dadurch, dass die tierischen Erzeugnisse nur noch in Bio-Qualität angeboten werden könnten, wäre einerseits die Wahlfreiheit eingeschränkt. Andererseits müssten die Konsument:innen aber auch mehr für sie bezahlen, was primär Personen aus tieferen Einkommensschichten beträfe. Weil ausserdem weniger Tiere in der Schweiz gehalten werden dürften, müsste mehr importiert werden, was wiederum negative Auswirkungen für die Umwelt hätte.

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab. Auf die Formulierung eines Gegenvorschlags wurde im Parlament verzichtet.

Der Nationalrat empfiehlt mit 106 Nein- und 77 Ja-Stimmen (bei 8 Enthaltungen) die Ablehnung der Initiative, der Ständerat mit 32 Nein- und 8 Ja-Stimmen (bei 1 Enthaltung).

Erstellt von Sophie Ruprecht