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17. November 2021

Wir stimmen ab: Die Pflegeinitiative

Am 28. November stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung unter anderem über die Pflegeinitiative ab. Discuss it hat mit Marvin Aelen (Junge Grüne) und Jill Nussbaumer (Jungfreisinnige) über die Vor- und Nachteile der Initiative gesprochen.

Die Zustände in der Pflegebranche sind unhaltbar, darüber ist sich die Schweiz einig. Doch bei den Veränderungen, die nötig sind, um die Arbeitsbedingungen rund um den Pflegeberuf wieder attraktiver zu gestalten, gehen die Meinungen auseinander. Konkret geht es am Abstimmungssonntag darum, ob die Forderungen der Pflegeinitiative oder jene des indirekten Gegenvorschlags zum Tragen kommen.

In welchem Kontext wurde die Initiative lanciert?

Die Pflegeinitiative wurde bereits 2017 vom «Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK)» eingereicht, also schon lange vor der Corona-Krise. Die aktuelle Situation hat die Dringlichkeit einer Veränderung in der Pflegebranche jetzt einfach noch sichtbarer gemacht. Zurzeit sind in der Schweiz über 10’000 Pflegestellen unbesetzt und bis 2030 werden etwa 70’000 Pflegende fehlen. Bereits heute steigen rund 40% der ausgebildeten Pflegefachkräfte nach wenigen Jahren aus ihrem Job aus, weil sie physisch und psychisch überbelastet sind. Dieses Problem soll nun mit der Pflegeinitiative oder ihrem indirekten Gegenvorschlag verbessert werden.

Was möchte die Initiative erreichen?

Die Pflegeinitiative verfolgt 3 Ziele: In erster Linie sollen mehr Pflegende ausgebildet werden. Bund und Kantone müssen mehr in die Ausbildung von Pflegenden investieren, denn mit mehr Ausbildungsplätzen und besseren Ausbildungslöhnen lässt sich die Zahl der Berufseinsteiger:innen erhöhen.

Ein zweites Ziel liegt in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Aktuell sind viele Pflegende überfordert, weil sie Familie und Beruf schlecht vereinbaren können, die Dienstplanung nicht verlässlich ist und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten ungenügend sind. Mit der Initiative dürften Pflegende zudem gewisse Leistungen direkt bei der Krankenkasse abrechnen. Ausserdem entspricht der Lohn gemäss Initiant:innen nicht den hohen Anforderungen an den Job und sollte erhöht werden.

Drittens soll die Pflegequalität gesichert werden, indem genügend Pflegefachpersonen auf allen Abteilungen angestellt werden. Weil die Schweiz eine alternde Gesellschaft hat, ist es wichtig, dass mehr Pflegepersonal eingestellt wird, um in Zukunft eine qualitativ hochwertige Versorgung von Patient:innen zu gewährleisten.

Was passiert bei einem «Nein» zur Pflegeinitiative?

Bei einem «Nein» käme der indirekte Gegenvorschlag zum Tragen, welchen das Parlament bereits ausgearbeitet hat. Dieser würde bei einer Ablehnung der Initiative ebenfalls Verbesserungen für die Pflegebranche vorsehen. In den nächsten 8 Jahren würden 1 Milliarde Franken in die Ausbildung von Pflegepersonal investiert. Im Gegenvorschlag wäre zudem ein Kontrollmechanismus enthalten, der dafür sorgen würde, dass die Gesundheitskosten sowie die Krankenkassenprämien nicht steigen, wenn Pflegefachpersonen gewisse Leistungen selbstständig abrechnen dürfen.

Bei Volksinitiativen kann das Parlament Alternativen aufstellen, wenn es z.B. das Anliegen der Initiative sinnvoll findet, jedoch nicht deren Umsetzung. Dabei gibt es zwei Optionen, nämlich einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag.

Bei einem direkten Gegenvorschlag kann die Stimmbevölkerung nebst der Volksinitiative gleichzeitig auch noch über den direkten Gegenvorschlag abstimmen, sofern das Initiativkomitee die Initiative nicht zurückzieht.

Bei einem indirekten Gegenvorschlag (wie aktuell bei der Pflegeinitiative) stimmt die Bevölkerung nur über die Volksinitiative ab. Wird diese abgelehnt, tritt der indirekte Gegenvorschlag jedoch automatisch in Kraft. Der Unterschied ist, dass es bei einem indirekten Gegenvorschlag Gesetzesänderungen gibt, jedoch keine Verfassungsänderungen wie bei einer Initiative.

Was sagen die Gegner:innen?

Ein Problem der Initiative sei, dass die konkrete Umsetzung noch völlig offen ist und im Nachgang einer Annahme zuerst ausgearbeitet werden müsste. Die Gegner:innen lehnen die Pflegeinitiative zugunsten des indirekten Gegenvorschlags ab, welcher schneller und konkreter sei als die Initiative. «Ausserdem zeigten die von Bund und Kantonen in den letzten Jahren getroffenen Massnahmen bereits Wirkung […]. Das heisst nicht, dass man nicht noch mehr machen kann, dessen sind sich Bundesrat und Parlament bewusst, wie der indirekte Gegenvorschlag zeigt», so Jill Nussbaumer (Jungfreisinnige).

Auch, dass die Löhne in der Verfassung festgeschrieben werden sollen, stösst auf Widerstand: «Pflegende mit einer höheren Fachausbildung verdienen monatlich 7400 CHF, was über dem gesamtschweizerischen Median liegt», erklärt Jill Nussbaumer. Es sollte nicht Aufgabe des Bundes sein, die Löhne gewisser Berufsgruppen vorzuschreiben, weil das Sache der Gewerkschaften sei. Die Forderung der Gewerkschaften, eine 36h Woche mit 110% Lohn zu kombinieren, sei zudem unangebracht.

Was sagen die Befürworter:innen?

Die Befürwortenden monieren, dass der indirekte Gegenvorschlag nicht ausreichend sei: «Der Gegenvorschlag […] verbessert die Arbeitsbedingungen nicht, mehr Ausbildung und mehr selbstständiges Abrechnen hilft den Pflegenden auch nicht weiter. Bund und Arbeitgeber haben es in den letzten 30 Jahren verschlafen, daher muss der Bund das jetzt regeln», sagt Marvin Aelen (Junge Grüne).

Auch das Argument, dass der Bund die Arbeitsbedingungen gar nicht regeln könne, lässt Aelen nicht gelten: «Das ist eine informelle Norm, dass es nicht vom Bund geregelt werden kann, aber dem ist nicht so. Jetzt ist es dringend, jetzt soll er das regeln.» Die Befürwortenden wollen den Bund also durchaus in die Verantwortung nehmen, die Situation der Pflegenden in der Schweiz zu verbessern. Sie finden, dass Bundesrat und Parlament die Stärkung der Pflege zu lange vernachlässigt haben, und wollen mit der Initiative deshalb nun selber tätig werden.

Und jetzt du!

Findest du die Ausgestaltung der Pflegeinitiative oder den indirekten Gegenvorschlag besser? Schreib uns deine Meinung in die Kommentare und stimm am 28. November ab!

Erstellt von Sophie Ruprecht