29. April 2024
Wie funktioniert das Krankenkassensystem? Und warum ist dieses politisch?
In diesem Blog widmen wir uns der Frage, wie das Krankenkassensystem in der Schweiz funktioniert und warum dieses auch politisch ist.
Wenn man krank ist, möchte man vielleicht eine medizinische Fachperson aufsuchen oder am liebsten einfach im Bett bleiben und sich nicht auch noch mit dem Thema «Krankenversicherung» beschäftigen. Damit du für mögliche Erkrankungen und auch für die kommenden Abstimmungen aber gut informiert bist, werfen wir in diesem Blog einen Blick auf das Krankenkassensystem in der Schweiz.
Wie funktioniert das Krankenkassensystem in der Schweiz grundsätzlich?
Die Krankenversicherung gehört in der Schweiz wie zum Beispiel auch die AHV und IV zu den Sozialversicherungen. Im Falle von Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit und Alter sind die Sozialversicherungen dafür verantwortlich, zum Teil den Wegfall deines Einkommens oder auch die Heilungskosten zu decken.
Seit der Einführung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) im Jahr 1996 ist die Krankenversicherung für alle in der Schweiz wohnenden Personen obligatorisch, d. h. verpflichtend. Deswegen sprechen wir hierbei auch von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung oder auch von der Grundversicherung. So kann auch keine versicherungspflichtige Person, zum Beispiel aufgrund einer Vorerkrankung, von der Grundversicherung ausgeschlossen werden. Die Versicherten können unter den Versicherungen, die an ihrem Wohnort tätig sind, den Anbieter für ihre Grundversicherung frei wählen. Sie erhalten alle, unabhängig von der konkreten Versicherung, die gleichen Leistungen.
Finanziert wird die obligatorische Krankenpflegeversicherung über folgende Säulen:
- Monatliche Beiträge der Versicherten, das sind die sogenannten Prämien
- Kostenbeteiligungen der Versicherten, dabei wird zwischen Franchise, Selbstbehalt und Spitalbeiträgen unterschieden
- Gelder des Bundes und der Kantone im Sinne von Prämienverbilligungen
Was einige dieser Säulen bedeuten, schauen wir uns weiter unten an.
Jetzt kennst du die Basics des Schweizer Krankenversicherungssystems. Doch obwohl bei der Grundversicherung alle die gleichen Leistungen erhalten, gibt es vier verschiedene Modelle der obligatorischen Grundversicherung und auch noch die Möglichkeit weitere Zusatzversicherungen abzuschliessen.
Freie Arztwahl: Man kann frei wählen, zu welchem Arzt oder welcher Ärztin man gehen möchte. Es ist dementsprechend auch die teuerste Variante.
HMO-Modell: HMO steht für «Health Maintenance Organization». Hierbei ist man verpflichtet, immer zuerst eine bestimmte HMO-Praxis aufzusuchen. Ausgenommen sind Notfälle, jährliche gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen und Kontrolluntersuchungen bei Augenärzt:innen. Der Nachteil hierbei ist, dass die Arztwahl eingeschränkt ist. Der Vorteil ist ein hoher Rabatt auf die monatlich fixen Beiträge, d.h. die Prämie.
Hausarztmodell: Auch hier muss man immer zuerst die eigene Hausärztin beziehungsweise den eigenen Hausarzt aufsuchen und es gelten die gleichen Ausnahmen wie beim HMO-Modell. Der Nachteil ist, dass nicht alle Hausärzt:innen ausgewählt werden können, hier hat die Krankenkasse Mitspracherecht. Der Vorteil ist ebenfalls ein hoher Prämienrabatt.
Telmed-Modell: Bei diesem Modell meldet man sich immer zuerst bei einer medizinischen Hotline. Eine Ferndiagnostik ist jedoch oft schwierig, dies wird als Nachteil gesehen. Der Vorteil: Das ist das günstigste Versicherungsmodell.
Zusatzversicherung
Im Gegensatz zur Grundversicherung kann man Zusatzversicherungen freiwillig wählen. Diese dienen dazu, die Gesundheitsversorgung der Versicherten über die Grundversicherung hinaus zu ergänzen. So kann man je nach Zusatzversicherung beispielsweise mehr Komfort im Spital oder finanzielle Beiträge zu Sehhilfen, zum Fitnessstudio, zu Reiseimpfungen oder zu komplementärmedizinischen Behandlungen, wie z. B. Akupunktur erhalten.
Weil es sich – wie der Name schon sagt – um einen Zusatz handelt, sind die Versicherungen auch nicht dazu verpflichtet, jemanden in die Zusatzversicherung aufzunehmen. So können sie z. B. davon absehen, alte und kranke Menschen zu versichern. Deswegen wird vor Abschluss einer Zusatzversicherung auch immer eine Gesundheitsprüfung durchgeführt. Es lohnt sich also, eine Zusatzversicherung dann abzuschliessen, wenn man (noch) gesund ist – sonst wird die Aufnahme schwierig. Eine Zusatzversicherung muss nicht beim Anbieter der Grundversicherung abgeschlossen werden.
Finanzielle Aspekte
Beim Thema Krankenversicherung sollten wir auch einen Blick auf die finanziellen Aspekte werfen. Dazu findest du hier in Kürze die wichtigsten Begriffe erläutert:
Die Krankenkassenprämie ist der Betrag, den man monatlich an seine Krankenkasse bezahlt. Wie viel man von den Behandlungskosten jährlich selbst tragen muss, ist in der Franchise festgelegt. 300 bis 2.500 CHF kann man als Franchise wählen. Der Selbstbehalt wird fällig, sobald die Franchise aufgebraucht ist und beträgt 10 % der anfallenden Gesundheitskosten. Pro Jahr ist der Selbstbehalt zudem auf maximal 700 CHF begrenzt. Sobald man in einem Spital übernachtet, muss man einen Spitalkostenbeitrag von 15 CHF pro Tag zahlen. Mit diesem beteiligt man sich an den Verpflegungskosten.
Für ein ausführlichere Informationen zur Krankenkassenprämie, Franchise und Selbstbehalt schau hier vorbei:
Bei der Krankenkassenprämie handelt es sich um den Beitrag, den man für die eigene Versicherung monatlich an die Krankenkasse zahlen muss. Die Höhe der Prämie hängt grundsätzlich von der jeweiligen Krankenkasse, dem Wohnort, der gewählten Franchise und dem gewählten Versicherungsmodell ab. Sie ist aber nicht an den Gesundheitszustand oder an die Höhe des Einkommens gekoppelt. Eine Ausnahme gibt es bei dieser Einheitsprämie aber: Wer ein tiefes Einkommen oder viele Kinder hat, erhält unter Umständen eine Prämienverbilligung vom Kanton. Über die Höhe der Verbilligung entscheidet jeder Kanton selbst. Ob die Versicherten für die Prämienverbilligung einen Antrag stellen müssen oder nicht, hängt auch vom jeweiligen Kanton ab.
Die Franchise ist die finanzielle Beteiligung, die jede Person in der Schweiz pro Kalenderjahr an den eigenen Behandlungskosten leisten muss. Man kann die Höhe der Franchise selbst wählen: 300, 500, 1.000, 1.500, 2.000 oder 2.500 Franken pro Jahr. Wenn man also die Franchise 300 wählt, zahlt man die ersten 300 Franken der Behandlungskosten selbst; bei der Franchise 2.500 dann eben die ersten 2.500 Franken.
Ob man nun eine hohe oder tiefe Franchise zahlt, kann man selbst entscheiden. Grundsätzlich sollte man wissen, dass die Höhe der gewählten Franchise die Höhe der monatlichen Krankenkassenprämie beeinflusst. In kurz: Eine tiefe Franchise bringt eine hohe Prämie mit sich und bei einer hohen Franchise fällt die Prämie entsprechend niedriger aus. D. h. mit einer hohen Franchise beteiligt man sich stärker an den Behandlungskosten, bezahlt dafür aber eine tiefere Versicherungsprämie und genauso auch umgekehrt.
Sobald die Franchise aufgebraucht ist, bezahlt man noch 10 Prozent der Gesundheitskosten. Dieser sogenannte Selbstbehalt ist auf 700 Franken (für Kinder 350 Franken) pro Jahr begrenzt. Man muss sich also pro Jahr maximal mit der gewählten Franchise plus 700 Franken an seinen Gesundheitskosten beteiligen.
Jetzt kennst du auch die Basics in Sachen Finanzen im Gesundheitssystem. Nun wird es noch einmal ganz konkret: Was ist mit den möglichen Kosten, die für Psychotherapien, Verhütungsmittel, Zahnbehandlungen oder bei Unfällen anfallen?
Zahlt die Krankenkasse Psychotherapien? Die Grundversicherung übernimmt die Kosten für Therapien bei psychischen und psychosomatischen Erkrankungen. Wenn die Psychotherapie von einer Ärztin oder einem Arzt verschrieben wurde, wird diese durch die Grundversicherung bezahlt. Dies ist seit Juli 2022 der Fall.
Übernimmt die Krankenkasse Kosten für Verhütungsmittel wie Pille, Kondome o.ä? In der Schweiz muss man seine Verhütungsmittel selber bezahlen, da die Krankenversicherung keine Kosten übernimmt. Deswegen: Mach dir Gedanken dazu, wie du deine Verhütungsmittel bezahlen möchtest und schau für ein paar Finanz-Tipps hier vorbei.
Wer zahlt die Unfallversicherung? Im Krankenkassensystem wird zwischen Krankheit und Unfall unterschieden. Anders als bei der Krankenversicherung, zahlt dein:e Arbeitgeber:in deine Unfallversicherung. Die Voraussetzung dafür ist, dass man mehr als 8 Stunden pro Woche bei einem Arbeitgebenden angestellt ist. Dazu zählt man auch, falls man Auszubildende:r ist. Falls man selbstständig ist, muss man selbst eine Unfallversicherung über die Krankenkasse abschliessen. Dies gilt auch für Hausmänner/-frauen, Kinder, Studierende und Rentner:innen.
Zahlt die Krankenkasse die Kosten für Zahnbehandlungen? Grundsätzlich zahlt die obligatorische Krankenversicherung keine zahnärztlichen Behandlungskosten. Nur falls es sich um Unfallfolgen handelt oder es durch eine Krankheit zu Zahnschäden kommt, werden die Kosten übernommen. Die Kosten für Zahnbehandlungen können schnell sehr teuer werden. Deshalb: Kläre am besten, wenn du noch jung und hoffentlich gesund bist, ob eine Zahnzusatzversicherung, Zahnbehandlungen im Ausland, ein extra Spartopf nur für deine Zähne o. ä. Sinn machen.
Wann kann man die Grundversicherung bzw. die Zusatzversicherungen kündigen? Die Grundversicherung der Krankenkasse kann man jährlich kündigen und wechseln. Dies muss in der Regel bis zum 30. November passieren. Zusatzversicherungen können – je nach Vertrag – unterschiedlich gekündigt werden. Oft besteht eine Kündigungsfrist von drei Monaten.
Die wichtigsten Begriffe sind geklärt, du fragst dich aber weiter, was das Krankenkassensystem mit Politik zu tun hat? Dazu werfen wir nun einen Blick auf die aktuellen Herausforderungen und Lösungsansätze im Schweizer Krankenkassensystem.
Kritik und Herausforderungen im Gesundheitssystem
In Sachen Gesundheitssystem gibt es einige Kritikpunkte in Bezug auf die Finanzierung und die Kosten.
«In den letzten fünf Jahren sind die jährlichen Gesamtkosten um rund 10 Milliarden auf 90 Milliarden Franken gestiegen. Ein Grossteil dieses Zuwachses geht auf den medizinischen Fortschritt zurück und die daraus abgeleitete Ausweitung des Leistungskatalogs. Auch die demografische Entwicklung in unserem Land hat Auswirkungen auf die Kosten, da ältere Menschen im Schnitt nun mal mehr medizinische Leistungen benötigen als jüngere», sagt Gesundheitsökonom, Prof. Dr. Tobias Benjamin Müller der Berner Fachhochschule.
So sind auch die Prämien in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Die Löhne und Renten sind jedoch nicht gleichmässig mitgewachsen. So benötigen knapp zwei Fünftel der Bevölkerung 10 bis 20 % ihres verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien.
Die obligatorische Krankenversicherung finanziert sich überwiegend über Kopfprämien. D. h. die Höhe der Krankenkassenprämien ist unabhängig von der Höhe des Einkommens. (Für die Ausnahme schau weiter oben bei den Prämienverbilligungen vorbei.) Eine Kopfprämie gibt es bei den anderen Sozialversicherungen nicht. Diese werden über Steuern oder einkommensabhängige Beiträge finanziert. Auch international nimmt die Schweiz mit der Kopfprämie eine Sonderstellung ein.
Die Versicherten beteiligen sich in der Schweiz mit rund 1.400 Franken pro Kopf/ Jahr an den Kosten. Damit liegt die Schweiz global mit an der Spitze. «Der Durchschnitt der Staaten der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) liegt bei 700 Dollar. Kein anderes Land bittet seine Bewohner:innen so stark zur Kasse wie die Schweiz.», meint Gesundheitsökonom, Prof. Dr. Tobias Benjamin Müller der Berner Fachhochschule.
Ideen zur finanziellen Verbesserung des Gesundheitssystems
Dazu schauen wir auf die beiden Vorlagen, die am 9. Juni zur Abstimmung kommen.
= Volksinitiative «Maximal 10 % des Einkommens für die Krankenkassenprämien»
Das Ziel der Prämien-Entlastungs-Initiative der Sozialdemokratischen Partei (SP) ist es, die Höhe der Krankenkassenprämien für die Grundversicherung zu begrenzen. Konkret heisst das: Keine versicherte Person soll mehr als zehn Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Krankenkassenprämien der Grundversicherung aufbringen müssen. Der Bund soll mindestens zwei Drittel der Gesamtausgaben tragen und die Kantone damit entlasten. Die Kantone sollen entsprechend noch ein Drittel finanzieren. Durch diese Bemühungen sollen Bund und Kantone gesichert mehr Verbilligungen der Prämien bezahlen.
Kritik und indirekter Gegenvorschlag: Das Parlament lehnt die Initiative ab, da der Bund neu deutlich mehr Kosten für die Prämienverbilligungen zahlen müsste und auch die Ursachen der Gesundheitskosten nicht bekämpft würden. Entsprechend wurde ein indirekter Gegenvorschlag zur «Prämien-Entlastungs-Initiative» vorgelegt, bei dem die Kantone demnach mehr Geld für die Prämienverbilligung bereitstellen sollen. Der GLP und Grünen reichen diese Bemühungen noch nicht aus. Sie beabsichtigen, mehr finanzielle Mittel für die Prämienverbilligungen herauszuholen.
= Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen»
Die Mitte-Partei beabsichtigt mit ihrer Initiative das Ziel, eine Kostenbremse im Gesundheitswesen einzuführen. Diese soll zum Zuge kommen sobald die Gesundheitskosten stärker steigen als die Löhne. Bund und Kantone seien hierbei für die Umsetzung der Kostenbremse zuständig. Im Detail heisst das: Die «Kostenbremse-Initiative» sieht vor, dass der Bund zusammen mit den Kantonen und Akteur:innen aus dem Gesundheitssystem einschreitet, wenn die durchschnittlichen jährlichen Kosten in der Krankenversicherung pro Person mehr als 20 Prozent stärker steigen als die Löhne.
Kritik und indirekter Gegenvorschlag: Das Parlament hat auch zur «Kostenbremse-Initiative» einen indirekten Gegenvorschlag verabschiedet. Hauptkritikpunkt ist, dass es durch die Kostenbremse zu Einschränkungen bei den medizinischen Leistungen kommen könne. So liege der medizinisch gerechtfertigte Kostenanstieg laut Bundesrat über dem Wirtschafts- und Lohnwachstum.
Erstellt von Judith Boll