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20. Oktober 2021

Wenn das Duschgel politisch wird

In Deutschland shoppen zu gehen macht Spass und ist günstig – so denken viele Schweizer:innen. Doch durch den Einkaufstourismus und die Mehrwertsteuer-Freigrenze gehen der Schweizer Wirtschaft jährlich hunderte Millionen Franken verloren. Wie deine neuen Turnschuhe oder dein Duschgel deshalb in der Herbstsession zum Gegenstand politischer Debatten geworden sind, erfährst du hier.

Fährst du am Wochenende auch gerne nach Deutschland zum Shoppen? Egal, ob man neue Markenklamotten für den herannahenden Winter braucht, die Lebensmittelvorräte bei einem günstigen Grosseinkauf aufstockt oder im dm (Drogeriemarkt) den Bedarf an Kosmetika abdeckt; in Deutschland einzukaufen ist für Schweizer:innen schon fast so etwas wie ein Nationalsport geworden. Rund zehn Milliarden Franken geben Personen aus der Schweiz dabei jährlich im nahen Ausland aus. Doch wusstest du, dass dein neuer adidas-Pulli oder dein dm-Duschgel auch politisch sind?

Günstiger Einkauf – teure Konsequenzen

Am Wochenende einen Einkaufs-Ausflug in unser nördliches Nachbarland zu machen, lohnt sich für Schweizer:innen aus finanzieller Sicht gleich doppelt: Die meisten Produkte sind dort nicht nur günstiger, sondern man erhält auch noch die deutsche Mehrwertsteuer in Höhe von satten neunzehn Prozent zurück. Und dabei muss man bis zu einem Warenwert von 300 Franken nicht einmal die Schweizer Mehrwertsteuer nachbezahlen. Viele Produkte kosten auf diese Weise bei einem Einkauf in Deutschland deutlich weniger, als sie das in der Schweiz tun.

Der Einkaufstourismus im nahen Ausland ist Schweizer Detailhändler:innen deswegen schon lange ein Dorn im Auge. Die Thurgauer Ständerätin Brigitte Häberli-Koller hat ausgerechnet, dass der Schweiz durch den Einkaufstourismus jährlich rund 500 bis 600 Millionen Franken an Mehrwertsteuern entgehen. Zudem würden auch Arbeitsplätze verlorengehen.

Das dm-Duschgel im Zentrum politischer Debatten

Aus diesen Gründen reichte der Kanton St. Gallen 2017 und der Kanton Thurgau 2018 je eine Standesinitiative ein, die eine Beseitigung der Wertfreigrenze beim Einkaufstourismus forderten. Inskünftig sollen also Schweizer Einkaufstourist:innen auf ihre ausländischen Einkäufe Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen müssen. In der diesjährigen Herbstsession legte dann auch Ruedi Noser (FDP ZH) nach. Seine Motion verlangt die Reduktion der Wertfreigrenze auf 50 Franken. Kaufen Schweizer:innen im Ausland für mehr Geld ein, sollen sie die Schweizer Mehrwertsteuer nachbezahlen müssen. Von dieser Regelung ausgenommen bleiben sollen diejenigen, die länger als 24 Stunden im Ausland verbringen. Für sie soll weiterhin der Freibetrag von 300 Franken gelten.

Jeder Schweizer Kanton hat das Recht, der Bundesversammlung (National- und Ständerat) eine Initiative vorzuschlagen. Der Kanton beauftragt damit eine Kommission, einen Entwurf für einen Erlass (Gesetz, Verordnung, Beschluss) auszuarbeiten. Dieser Erlass wird dann anschliessend den beiden Räten zur Abstimmung vorgelegt. Wird der Erlass von beiden angenommen, entsteht daraus ein neues Gesetz, eine Verordnung oder ein Beschluss.

Eine Motion erteilt dem Bundesrat den Auftrag, einen Entwurf zu einem Erlass (Gesetz, Verordnung, Beschluss) auszuarbeiten oder eine Massnahme zu ergreifen. Sie kann durch eine Kommission oder durch ein einzelnes Ratsmitglied eingereicht werden. Nach ihrer Einreichung wird die Motion der Bundesversammlung (bestehend aus National- und Ständerat) zur Abstimmung vorgelegt. Wird die Motion angenommen, muss der Bundesrat den Auftrag in der Motion innert einem Jahr erfüllen.

Die Schweizer Detailhändler:innen unterstützen diese Vorstösse. Sie glauben, dass eine tiefere Mehrwertsteuer-Freigrenze auf Einkaufstourist:innen eine abschreckende Wirkung hätte. Für diese wird der Einkauf im Ausland nämlich nicht nur teurer, sondern durch das Ausfüllen von Formularen und Grenzkontrollen auch deutlich mühsamer. Christian Fichter, Leiter des Instituts für Wirtschaftspsychologie, ist da allerdings weniger optimistisch. Er sieht den Einkaufstourismus eher als Event, bei dem es um mehr als einen billigen Einkauf geht. Ausserdem fürchtet er, dass einige Schweizer:innen aus Trotz erst recht im Ausland einkaufen oder auf illegale Weise die Steuern zu umgehen versuchen. Bundesrat Ueli Maurer gab zudem zu bedenken, dass der Aufwand für die Kontrollen sehr hoch sei.

Ein Rechenbeispiel

Anna Müller fährt am Samstag nach Konstanz, um dort einzukaufen. Sie kauft bei Aldi Lebensmittel im Wert von 80€ ein, anschliessend im dm Kosmetika im Wert von 40€ und shoppt schliesslich Kleidung für 120€. Im Moment könnte sie diese Ware einfach so in die Schweiz importieren, da ihr Wert die Freigrenze von 300 Franken nicht überschreitet. Bei einer Freigrenze von 50 Franken müsste Anna Müller allerdings die Schweizer Mehrwertsteuer nachbezahlen. Auf die Lebensmittel gilt dabei ein Mehrwertsteuersatz von 2.5 Prozent, auf alle anderen Güter 7.7 Prozent. Bei einem Wechselkurs von 1.1 Franken pro Euro müsste Anna Müller also Mehrwertsteuern von rund 13 Franken nachbezahlen.

Diese Bedenken beeindruckten National- und Ständerat allerdings nicht. Nachdem der Nationalrat die Standesinitiativen bereits in der Herbstsession 2020 angenommen hatte, stimmte ihnen im September nun auch der Ständerat zu. Der Bundesrat ist nun also damit beauftragt, die Reduktion der Freigrenze umzusetzen und dazu einen konkreten Betrag festzulegen. Ob diese Massnahme tatsächlich Auswirkungen auf den Schweizer Einkaufstourismus hat, wird sich zeigen.

Und was findest du? Würdest du auch noch in Deutschland einkaufen, wenn du ab einem Warenwert von 50 Franken Schweizer Mehrwertsteuer bezahlen müsstest? Schreib es uns in die Kommentare!

Erstellt von Alina Zumbrunn