13. März 2025
Vom Unterschriftensammeln zum Gesetz
Die Schweiz gilt als eines der demokratischsten Länder der Welt. Ein Grund dafür ist die Rolle von Volksinitiativen für die Gesetzgebung. Anders als zum Beispiel in Deutschland, England oder Österreich, in denen ganz selten die Bevölkerung direkt gefragt wird, ob sie ein Gesetz möchte oder nicht, ist das in der Schweiz Normalität. Allein 2024 gab es 12 Volksabstimmungen. Aber wie genau funktioniert das eigentlich mit der Volksabstimmung und was braucht es, dass eine Volksabstimmung zum Gesetz wird? Das erfahrt ihr in diesem Blog.
Wir starten mit einem Beispiel einer Volksabstimmung ausserhalb der Schweiz, und zwar in Grossbritannien. Hier fand am 23.06.2016 eine Abstimmung über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union statt. Die meisten kennen sie als Brexit (= British Exit). In dieser Abstimmung hat sich die britische Bevölkerung für einen Austritt aus dem Staatenbund entschieden. Diese Abstimmung wurde von viel Kritik begleitet. Ein Kritikpunkt war, dass es im Wahlkampf überhaupt nicht klar gewesen sei, wie denn eine alternative Beziehung zur EU aussehen sollte. Damit war wiederum offen, was ein Austritt bedeuten würde und über was genau abgestimmt wurde. Nach zähen Verhandlungen mit der EU und 2 Premierminister und 2 Premierministerinnen später, stand ein Vertrag, mit dem aber ein Grossteil der Bevölkerung nicht mehr zufrieden war. Allerdings durften die Wähler:innen nicht mehr über die finalen Konditionen abstimmen, die am 31. Januar 2020 zum Austritt Grossbritanniens aus der EU führten.
Während sich Grossbritannien also schwer tat mit einer sehr folgenschweren Volksabstimmung, ist die Schweiz die heimliche Weltmeisterin in direkter Demokratie und das nicht nur was die Anzahl, sondern auch die Qualität der direkt-demokratischen Beteiligung angeht. Aber was genau zeichnet sie aus?
Zunächst gilt es zwischen zwei Formen der Volksabstimmungen zu unterscheiden: Dem Referendum und der eidgenössischen Volksinitiative. In der Schweiz, wie in vielen anderen Ländern, beschliesst das Parlament den Grossteil der Gesetze. Allerdings kann in der Schweiz eine Person oder eine Gruppe von Personen, die mit einem bestimmten Gesetz nicht einverstanden ist, das Referendum ergreifen. Ein Referendum bezeichnet dabei eine Abstimmung über ein verändertes oder neues Gesetz auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene. Dabei wird zwischen fakultativen und obligatorischen Referenden unterschieden.
Beim fakultativen Referendum stimmt das Volk über ein gerade vom Parlament beschlossenes Gesetz ab und entscheidet, ob dieses so in Kraft tritt oder nicht. Damit diese Volksabstimmung stattfindet, müssen innerhalb von 100 Tagen nach Publikation des Gesetzes mindestens 50’000 Unterschriften gesammelt werden. Interessant dabei: Selbst Schweizer:innen, die im Ausland wohnen, können ein Referendum lancieren, also das Referendum ergreifen. Dabei muss das Referendum nicht von einer einzigen Person ergriffen werden, sondern kann auch von einem Referendumskomitee, also mehreren Personen, lanciert werden. Unterschriften sind dabei nur gültig, wenn sie von einer Person mit Schweizer Bürgerrecht getätigt werden. Beispiele für fakultative Referenden sind: «Bundesgesetz über die Reduktion der CO2-Emissionen» (2010), «Bundesgesetz über die Wehrpflichtersatzabgabe» (2017), «Schweizerisches Zivilgesetzbuch (Ehe für alle)» (2020).
Das obligatorische Referendum benötigt keine Unterschriften und wird automatisch ausgelöst, wenn das Parlament die Verfassung ändern will. Bei einem obligatorischen Referendum reicht für die Annahme des neuen/veränderten Gesetzes das Volksmehr, also eine einfache Mehrheit aller Stimmberechtigten der Schweiz, nicht aus. Es braucht zudem eine Mehrheit der Kantone – das sogenannte Ständemehr – die für das Gesetz stimmen. Beispiele für solche Referenden sind: «Volksinitiative ‹pro Tempo 130/100› (1989), «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» (2012), «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» (2018), «Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)» (2022).
Eine dritte Variante ist die eidgenössische Volksinitiative, die nicht eine Reaktion auf ein neues oder verändertes Gesetz ist, sondern ein Vorschlag für eine Veränderung der Bundesverfassung.
Hierfür bedarf es mit 100’000 Unterschriften doppelt so vieler Unterschriften wie für das fakultative Referendum. Die Volksinitiative wird von einem Initiativkomitee, das aus mindestens 7 und maximal 27 Personen besteht, lanciert. Dabei hat das Initiativkomitee allerdings mehr Zeit, um die Unterschriften zu sammeln: 18 Monate bzw. 547 Tage.
Findet eine Volksinitiative die Unterstützung von mindestens 100’000 Schweizer:innen kommt es trotzdem nicht sofort zur Volksabstimmung. Davor muss die Initiative noch in den Bundesrat und danach in die Bundesversammlung. Der Bundesrat kann nun
- Option a) die Initiative annehmen und direkt ans Parlament – die Bundesversammlung – weiterleiten (dafür hat er 12 Monate Zeit) oder
- Option b) einen Gegenentwurf ausarbeiten. So hat er beispielsweise auf die Initiative eines Einfuhrverbots für Stopfleber eine Kennzeichnungspflicht vorgeschlagen. Für den Fall, dass er einen Gegenentwurf ausarbeitet, hat der Bundesrat statt 12 nun 18 Monate Zeit.
Der Bundesrat übergibt nun den Staffelstab (unsere Volksinitiative oder die Initiative zusammen mit dem Gegenvorschlag) an das Parlament, das nun ebenfalls zwei Optionen hat.
- Option A) ist die Gültigkeit der Gesetzesinitiative zu ermitteln. Was bedeutet, dass sie nicht zwingendes Völkerrecht verletzen darf, wie zum Beispiel Genozid, Folter und Sklaverei, und von der Form her korrekt ist. Zusätzlich spricht das Parlament eine Empfehlung an die Bevölkerung aus, ob diese für oder gegen die Initiative stimmen soll. Dafür hat das Parlament 12 bis 18 Monate.
- Option B) Das Parlament ist weder mit der Initiative noch mit dem möglichen Gegenvorschlag des Bundesrats zufrieden und arbeitet selbst einen dritten, alternativen Entwurf aus; zusätzlich zum Gegenvorschlag des Bundesrats, über den das Volk nun ebenfalls abstimmen kann. Erarbeitet das Parlament einen alternativen Entwurf, darf es sich auch mehr Zeit nehmen: 24 Monate statt 12 oder 18.
Nachdem das Parlament zur Volksinitiative beraten und intern, also in den beiden Räten, entschieden hat, sowie seine Empfehlung ausgesprochen hat, hat es noch 10 Monate Zeit, sie dem Wahlvolk vorzulegen.
Entscheiden sich die Wähler:innen für die Initiative, tritt diese sofort in Kraft. Für die tatsächliche Umsetzung der Initiative braucht es aber meist noch einiges mehr an Zeit.
Es gibt also 4 Parteien, die an einer Volksinitiative beteiligt sind.
1) Das Initiativkomitee, das mit 100’000 Unterschriften zeigt, dass es in der Bevölkerung Interesse an einer Gesetzesänderung gibt.
2) und 3) Der Bundesrat und das Parlament, das Änderungen vornehmen oder einen alternativen Vorschlag vorlegen kann und
4) das Wahlvolk, das über alle Vorschläge am Ende des Prozesses abstimmt.
Wenn Grossbritannien ein direktdemokratisches System wie die Schweiz hätte, hätte die Bevölkerung die Möglichkeit gehabt, entweder automatisch oder durch eine Volksinitiative über den finalen Austrittsvertrag mit der EU abzustimmen. Dadurch wäre der anschliessende Austritt noch stärker im Sinne des Volkswillens gewesen, da die Bürger:innen eine klare Entscheidungsgrundlage gehabt hätten.
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Erstellt von Franz Altner