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6. Dezember 2022

«One Love»? – das historische Verhältnis von Politik und Sport

Die «One Love»-Captainbinde hat jüngst für mächtigen Aufruhr an der Fussball-WM in Katar gesorgt. Weltweit sind Diskussionen darüber entflammt, inwiefern politische Statements einen Platz im Sport haben dürfen. In diesem Blogbeitrag erfährst du mehr über die historischen Hintergründe der Beziehung zwischen Sport und Politik.

 Selbst wer die WM-Spiele in Katar nicht aktiv mitverfolgt hat, wird am Rande die zahlreichen und hitzig geführten Diskussionen rund um die «One Love»-Armbinden mitbekommen haben. Etliche Nationalteams aus Europas hatten die Absicht, die regenbogenfarbige Binde auf dem Fussballplatz zu tragen, um ein Zeichen gegen Rassismus, Homophobie und für Menschenrechte zu setzen. Der Ausgang ist bekannt: Die FIFA verbot kurz vor WM-Beginn das Tragen der Armbinde, was vor allem in westlichen Kulturkreisen als Kuschen vor den konservativeren Werten des Gastgebers Katar gesehen und als Mundtotmachen diverserer Ansichten gewertet wurde. Im Anschluss daran – und natürlich bereits vor der stark kritisierten WM-Vergabe – entstanden Diskussionen darüber, inwiefern Sport und Politik miteinander verwoben werden sollten oder dürfen. Ob legitim oder nicht, ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sportliche Anlässe auch früher schon zur Verbreitung politischer Statements gebraucht bzw. missbraucht wurden.  

Die Aufgabe und Beziehung von Sport und Politik

«Sport ist die wahrscheinlich grösste Kommunikationsplattform der Welt», sagte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes 2012. Wenn sich das Augenmerk der ganzen Welt auf internationale Sportveranstaltungen richtet, ist das Verlocken gewisser Gesellschaftsgruppen oft besonders gross, ihre Anliegen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Sie hoffen, die Gelegenheit zu nutzen und gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen oder zumindest politische Botschaften zu verbreiten. Doch wie kommt es überhaupt dazu?

Gemäss dem Politikwissenschaftler Peter Filzmaier ist eine Gesellschaft in viele Teilsysteme gegliedert, unter anderem eben in Sport und Politik. Während die Aufgabe der Politik ist, (demokratische) Entscheidungen zu treffen, die das menschliche Zusammenleben regeln, besteht beim Sport nebst dem gesundheitlichen Nutzen für Menschen aber die Gefahr, von anderen Teilbereichen instrumentalisiert zu werden. Beispielsweise verdienen sich wirtschaftliche Unternehmen mit Sportevents regelmässig eine goldene Nase oder Medien scharen durch Berichterstattungen ein breites Publikum um sich. Und die Politik: Darf sie einen Platz im Sport haben und Stellung zu bestimmten gesellschaftlichen Themen beziehen oder sollten diese beiden Teilbereiche strikt getrennt werden? Dass die beiden Teilbereiche schon früher nicht immer strikt getrennt wurden, veranschaulichen die folgenden zwei Beispiele.

Die Olympischen Spiele von 1936 und 1972

Sehr prominente Beispiele der Verbreitung politischer Propaganda sind die Olympischen Spiele von 1936 (Berlin) und 1972 (München). 

Im Sommer 1936, drei Jahre vor Beginn des 2. Weltkriegs, versuchte der Diktator Adolf Hitler, sein NS-Regime gegen aussen in einem positiven Licht zu präsentieren und gleichzeitig die Überlegenheit der «arischen Rasse» beweisen (mehr dazu siehe z.B. hier). Letzteres gelang ihm jedoch nicht, erfolgreichster Athlet dieser Olympiade war der Afroamerikaner Jesse Owens. Gegen innen wollte er bei seinen Bürger:innen vor allem durch gute Leistungen deutscher Sportler:innen den Nationalstolz fördern. Obschon es im Vorfeld der Spiele Diskussionen über einen Boykott und sogar eine Verlegung des Austragungsorts gab, um ein Zeichen gegen die deutsche Diskriminierung von Jüdinnen und Juden zu setzen, wurden der Boykott am Ende abgeblasen und die Spiele in Berlin durchgeführt. Die Nationalsozialisten nutzten die Spiele, um Deutschland als “weltoffenes” Land zu präsentieren – eine völlig falsche Darstellung der nationalsozialistischen Diktatur.

Auch die Olympischen Spiele in München von 1972 standen politisch im Rampenlicht, als eine palästinensische Terrorgruppe in die Unterkunft israelischer Sportler eindrang und diese als Geiseln nahm, um die Freilassung palästinensischer Gefangener sowie u.a. zweier “Rote Armee Fraktion”-Terroristen zu erzwingen. Die Aktion, aber auch der Befreiungsversuch scheiterten, alle Geiseln sowie die Mehrheit der Terroristen kamen dabei ums Leben. Die sportlichen Höhepunkte rückten in Anbetracht dieser Tragödie natürlich in den Hintergrund. Auch wenn die Olympischen Spiele in der Folge – trotz Kritik – fortgesetzt wurden, blieb der Weltöffentlichkeit von diesem Sportanlass primär die schockierenden Bilder und Nachrichten der Geiselnahme in Erinnerung.

Ein Zeichen gegen Rassismus

Während die Beispiele der Olympiaden verdeutlichen, wie mit besonders drastischen Mitteln um politische Aufmerksamkeit gerungen wurde, gibt es durchaus auch subtilere Möglichkeiten, um auf Probleme hinzuweisen oder sich mit bestimmten Forderungen zu solidarisieren. Obschon Rassismus natürlich nicht nur in den USA ein nach wie vor grosses Problem darstellt, hat dort vor allem aufgrund der Polizeigewalt gegen Schwarze der “stille Protest” begonnen, nämlich durch die Geste des Kniefalls, die mittlerweile vielerorts verbreitet ist.

Mit dem Niederknien vor Anpfiff haben viele Sportler:innen diverser Disziplinen ihrem Gefühl nach sozialer Verantwortung nachgegeben, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Generell wird die Geste als Ausdruck von Respekt oder Demut gesehen. Seinen sportlichen Ursprung hat der Kniefall 2016 im US-Football, als der Spieler Colin Kaepernick während der US-amerikanischen Nationalhymne erstmals niederkniete, um gegen Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze zu protestieren. Mittlerweile knien auch in Europa regelmässig Sportler:innen nieder, um hierzulande für die Gleichstellung aller Menschen zu plädieren. Obschon auch die UEFA das Verbreiten politischer Statements untersagt, hat sie, im Gegensatz zur FIFA, welche das Tragen der «One Love»-Armbinde jüngst verboten hat, den Kniefall explizit gebilligt und steht somit ebenfalls für die Nulltoleranz von Rassismus ein.

Fazit

Diese Beispiele verdeutlichen, wie die beiden Teilbereiche Politik und Sport auch historisch immer wieder miteinander verknüpft wurden. Sportliche Events werden seit vielen Jahren genutzt, um politische Forderungen zu äussern oder auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen. So, wie es auch die «One Love»-Armbinde an der WM hätte tun wollen. Wie denkst du darüber: Sollte die freie Meinungsäusserung im Sport generell erlaubt sein oder besser eine strikte Trennung zwischen Sport und Politik angestrebt werden?

Erstellt von Sophie Ruprecht