Im September stimmt die Schweiz darüber ab, wie sie die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern steuern will. Im Zentrum stehen dabei auch die Beziehungen zur Europäischen Union. Die Argumente von Befürworter_innen und Gegner_innen im Überblick.
Wie soll die Zuwanderung in die Schweiz künftig aussehen? Soll sie über Kontingente gesteuert werden? Oder soll sie wie bis anhin über die Personenfreizügigkeit geregelt werden? Und: Was soll mit den Bilateralen Verträgen zwischen der Schweiz und der EU geschehen?
Erneuter Anlauf
Das sind die Kernfragen, über die die Schweizer Stimmbevölkerung am 27. September abstimmen wird. Konkret geht es um die Begrenzungsinitiative der SVP. Diese will in die Verfassung festschreiben, «dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig regelt.» Schon einmal legte die SVP dem Schweizer Stimmvolk ein ähnliches Anliegen zur Abstimmung vor. Auch die Masseneinwanderungsinitiative wollte, dass die Schweiz die Zuwanderung direkter und vor allem stärker regulieren kann. Sie wurde 2014 knapp von Volk und Ständen angenommen.
Kontingente statt Personenfreizügigkeit?
Damals wie heute schwebte der SVP vor, die Zuwanderung über sogenannte Kontingente zu steuern. Das bedeutet: Die Schweiz soll in fest geregelten Zeitabständen unabhängig und für sich selbst definieren können, wie viele Ausländerinnen und Ausländer ins Land kommen dürfen. Das Schweizer Parlament entschied sich im Nachgang der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative allerdings gegen die Einführung solcher Kontingente – obwohl die Initiative genau das gefordert hatte. Die Befürchtung: Solche Kontingente würden internationale Verträge mit der Europäischen Union gefährden.
Insbesondere wären solche Kontingente im Widerspruch zur Personenfreizügigkeit gestanden. Personenfreizügigkeit heisst nichts anderes, als dass sich Personen in dem Gebiet, in dem das Abkommen gilt, frei aufhalten, niederlassen und einer Arbeit nachgehen dürfen. In der Schweiz ist die Personenfreizügigkeit mit den Staaten der europäischen Union seit 2002 in Kraft und wurde auch schrittweise auf die seit dann neu beigetretenen EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet.
Möchte die Schweiz nun neu die Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern eigenständig steuern, hätte dies die Kündigung der Personenfreizügigkeit zur Folge. Und: Diese Kündigung trüge weitreichende Konsequenzen. Denn die Personenfreizügigkeit ist nur eines von insgesamt sieben Abkommen, die die Schweiz seit 1999 unter dem Namen «Bilaterale I» abgeschlossen hat. Sie alle sind mit einer sogenannten Guillotine-Klausel verbunden. Das heisst: Kündigt man eines dieser Abkommen, werden alle anderen damit automatisch auch hinfällig. Ein Ende der Personenfreizügigkeit wäre demnach gleich zu setzen mit einem Ende der Bilateralen I.
«Kündigungsinitiative»
Um ein erneutes Entscheidungs-Dilemma zwischen eigenständiger Regulierung der Zuwanderung und der Personenfreizügigkeit zu verhindern, geht die SVP dieses Mal einen Schritt weiter: Im Initiativtext steht explizit drin, dass bei Annahme der Initiative die Personenfreizügigkeit gekündigt werden soll. Aus diesem Grund sprechen Gegnerinnen und Gegner der Initiative, unter ihnen auch Medien wie der Tages-Anzeiger, die NZZ oder die Aargauer Zeitung von der «Kündigungsinitiative der SVP».
«Immer mehr Leute brauchen immer mehr Ressourcen»
Für die SVP steht die Souveränität und die Kontrolle über die eigene Politik im Vordergrund. «Ich vergleiche das gerne mit einem Haus. Zuhause ist es einen ja auch nicht gleich, wer Zugriff zum eigenen Haus hat. Es ist nicht egal, wer da ein- und ausgeht, das will man selbst steuern» sagt Mike Egger vom Komitee «für eine massvolle Zuwanderung». Ganz ähnlich sei das mit der Zuwanderung – auch weil diese nach Ansicht Egger aus allen Nähten geplatzt sei, seit die Personenfreizügigkeit in Kraft ist: «Die Folge der Einwanderung sind eine überlastete Infrastruktur, stundenlange Staus, aber auch ein überlastetes ÖV-Netzwerk.»
Dazu sei die Schweiz konfrontiert mit explodierenden Bodenpreisen: «Auch wer eine Wohnung mieten will, muss dafür immer mehr zahlen» so Egger, der für die SVP im Nationalrat sitzt. Für Egger ist klar, dass auch die momentane Haltung zur umweltbewussten und von Verzicht geprägten Lebenshaltung mit einer «ungebremsten Zuwanderung» nicht vereinbar ist: «Alle Bestrebungen nach weniger Verbrauch verflüchtigen sich, wenn immer mehr Leute in diesem Staat leben. Denn es ist ganz einfach: Immer mehr Leute brauchen immer mehr Ressourcen», so Egger.
Ihm pflichtet Stephanie Gartenmann bei, die sich im gleichen Komitee einsetzt. Sie sagt, warum insbesondere Junge ihrer Meinung nach für die Initiative stimmen müssen: «Meine Generation ist zunehmend unter Druck – finanziell und auch beruflich. Für die Umwelt wird es immer enger. Mit der Begrenzungsinitiative lösen wir all diese Probleme», so die Politikerin der Jungen SVP.
Breite Allianz dagegen
Anders sehen das die Gegnerinnen und Gegner der Initiative. Eine breite Allianz aus allen anderen bürgerlichen und linken Parteien, Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden sowie Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden bekämpft die Initiative in mehreren Komitees. Unter ihnen: Hans Ulrich Bigler, scheidender Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Ihm zufolge ist die Schweizer Wirtschaft auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen: «Die Schweiz hat ihren Wohlstand durch Offenheit erworben. Der internationale Handel schafft Wachstum und damit mehr Arbeitsplätze. Ein Nein zur Begrenzungsinitiative sichert den Zugang zum unverzichtbaren Fachkräftepool für Schweizer KMU.»
Nicht nur aus wirtschaftlicher Perspektive regt sich Widerstand gegen die Initiative. So streichen insbesondere linke Parteien insbesondere die Wichtigkeit der flankierenden Massnahmen hervor. Diese ermöglichen es, das im internationalen Durchschnitt hohe Schweizer Lohnniveau effektiv kontrollieren und damit sichern zu können. Dadurch soll verhindert werden, dass ausländische Firmen ihren Angestellten in der Schweiz Dumpinglöhne bezahlen und damit die Löhne für alle gedrückt werden. Allerdings: Die flankierenden Massnahmen gelten gesetzlich nur so lange, wie die Personenfreizügigkeit in Kraft ist. «Ein verstecktes Ziel der Initiative ist die Abschaffung der Flankierenden Massnahmen, die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Schweiz schützen», sagt Roger Nordmann, Fraktionschef der SP.
Er sieht noch ein anderes Problem. «Würde die Initiative angenommen und würden tatsächlich alle bilateralen Verträge mit der EU hinfällig, hätten gerade auch junger Schweizerinnen und Schweizer massive Probleme hinsichtlich Forschung und Bildung», meint Nordmann. Denn: Die Schweiz wäre dann auch aus den Forschungs- und Bildungsprogrammen der EU wie zum Beispiel «Horizon 2020» ausgeschlossen. Damit gingen der Schweiz viel wissenschaftliches Know-How durch internationale Kooperationen und auch viele Forschungsgelder verloren.
Beziehung zur EU im Zentrum
Flankierende Massnahmen und Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen sind nur zwei punktuelle Beispiele für die möglichen Auswirkungen, die eine Annahme der Initiative hat. Letztlich geht es bei der Abstimmung also nicht nur um die Frage, ob und, wenn ja, wie die Schweiz die Zuwanderung begrenzen will. Es geht bei der Begrenzungsinitiative ganz allgemein auch darum, in welcher Beziehung die Schweiz künftig zur Europäischen Union stehen will. Dieser Konflikt ist auch in der Namensdebatte sichtbar: Befürworter_innen der Initiative, denen es vor allem um die Zuwanderung geht, benutzen den Namen Begrenzungsinitiative. Gegner_innen hingegen, die Angst vor dem Wegfallen der Bilateralen I haben, verwenden den Begriff Kündigungsinitiative.
Informiert euch über die Vorlage, um euch eine differenzierte Meinung zur Begrenzungsinitiative bilden zu können. Da es diesen September insgesamt fünf Vorlagen sind, über die abgestimmt werden, droht die eine oder andere unterzugehen. Deshalb: Auf dem Discuss it-Blog werden in den kommenden Wochen Artikel zu den Pros und Kontras jeder Vorlage zu lesen sein. Lest ausserdem nach, wieso es besonders gut und wichtig für uns ist, am 27. September abstimmen zu gehen.
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