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25. Juli 2023

Bikameralismus

Im Herbst sind nationale Wahlen, bei denen Nationalrat und Ständerat von der Schweizer Bevölkerung neu gewählt werden. Aber warum hat das Schweizer Parlament eigentlich zwei Kammern? Wie sind sie entstanden und was ist ihre Funktion?

Ein politisches System, in dem das Parlament zwei Kammern hat, nennt man auch Bikameralismus. Die beiden Kammern haben oft unterschiedliche Aufgaben, sollen andere Gruppen repräsentieren oder werden auf verschiedene Weise gewählt. Das ist auch in der Schweiz so.

Warum hat das Schweizer Parlament zwei Kammern?

Den National- und den Ständerat gibt es in ihrer heutigen Form seit der Gründung des Schweizer Bundesstaates 1848. Die zwei Kammern waren damals ein Kompromiss zwischen den grossen und den kleinen Kantonen. Die grossen Kantone wollten aufgrund ihres grösseren Bevölkerungsanteils im Bundesstaat auch mehr mitreden. Ihnen gegenüber standen die kleinen Kantone, die im Sinne des Föderalismus und der Gleichbehandlung der Kantone dasselbe Gewicht wie die grossen haben wollten.

Der Nationalrat vertritt deshalb die Bevölkerung im Verhältnis zur Anzahl Einwohner:innen pro Kanton. So hat der Kanton Zürich, der bevölkerungsstärkste in der Schweiz, 35 der 700 Sitze inne, während die Kantone Glarus und Uri beziehungsweise die Halbkantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Nidwalden und Obwalden so klein sind, dass sie jeweils nur einen Sitz haben. Im Ständerat hat hingegen jeder Kanton genau zwei Sitze (und die Halbkantone haben einen Sitz), sodass dort alle Kantone gleich viel Gewicht erhalten. Der Nationalrat wird deshalb auch Volkskammer genannt, der Ständerat Kantonskammer.

Wie werden National- und Ständerat gewählt?

Neben der unterschiedlichen Anzahl Sitze (200 im Nationalrat, 46 im Ständerat) und der Repräsentationslogik (der Nationalrat soll die Bevölkerung vertreten, der Ständerat die Kantone), unterscheiden sich die beiden Kammern auch bei den Wahlen. Nationalrät:innen werden in einem Proporzverfahren gewählt. Das bedeutet, dass die Sitze proportional zum Anteil Stimmen auf die Parteien verteilt werden. Die Ständerät:innen werden hingegen im Majorzverfahren gewählt. Dort geht der Sitz an diejenige Person, welche die Mehrheit der Stimmen erreicht (und wenn kein:e Kandidat:in die Mehrheit erreicht, folgt ein zweiter Wahlgang).

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Etwa in einem Drittel aller Länder hat das Parlament zwei Kammern, von den langjährigen Demokratien sogar zwei Drittel. Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine sehr starke zweite Kammer (Ständerat), weil sie gleich mächtig ist wie die erste, aber auf unterschiedliche Weise gewählt wird. In anderen Ländern wie etwa Kanada oder Frankreich sind die beiden Kammern beispielsweise asymmetrisch, weil die zweite Kammer gesetzlich weniger Macht hat als die erste. In anderen Ländern, etwa Italien oder der Niederlande, werden beide Kammern im gleichen Verfahren gewählt. Auch das schränkt die Macht der zweiten Kammer ein.

Und in einigen Ländern, etwa Dänemark, Schweden, Island und Norwegen, wurde die zweite Kammer sogar abgeschafft. Diese Länder sind viel weniger föderal als die Schweiz, ihren Regionen (in der Schweiz die Kantone) kommt also deutlich weniger Bedeutung zu. Deshalb wurde die zweite Kammer als unnötige Verdoppelung der ersten angesehen und abgeschafft.

Ist der Ständerat noch zeitgemäss?

Auch in der Schweiz wird immer wieder diskutiert, wie gut der Ständerat noch die Interessen der Kantone vertritt und ob dort nicht auch eher die Parteien entscheidend sind. Ausserdem wird oft die Kritik geäussert, dass die Kantone seit 1848 unterschiedlich stark gewachsen sind. So gibt es heute 37 Mal so viele Einwohner:innen im Kanton Zürich wie bei der Gründung des Bundesstaats – im Kanton Uri hat sich die Bevölkerung aber nur gut verdoppelt. Damit ist die Ungleichheit im Ständerat gewachsen; die kleinen Kantone haben heute noch mehr Gewicht als die grossen im Vergleich zu früher. Dennoch hat bis heute in der Schweiz niemand ernsthaft verlangt, den Ständerat abzuschaffen. Die zweite Kammer wird also auch weiterhin bestehen bleiben.

Deshalb ist es umso wichtiger, welchem Ständeratskandidaten oder welcher Ständeratskandidatin du im Herbst deine Stimme gibst. Hast du dich schon mit den verschiedenen Parteien, Kandidat:innen und Wahlslogans auseinandergesetzt? Wen wirst du wählen? Schreib es uns in die Kommentare und geh im Herbst an die Urne!

Erstellt von Alina Zumbrunn