25. Mai 2022
Milizsystem
Hast du dich schon einmal gefragt, warum die meisten Politiker:innen in der Schweiz noch einem anderen Beruf nachgehen? Das politische System der Schweiz ist nach der Idee des Milizprinzips aufgebaut. Was das Milizprinzip genau ist und weshalb es heute nicht mehr so gut funktioniert, liest du in diesem Blog.
Am kommenden Montag beginnt die Sommersession im Parlament. Sie dauert drei Wochen lang und in dieser Zeit treffen sich die Nationalrät:innen und Ständerät:innen täglich im Plenum sowie in ihren Kommissionen, um über politische Geschäfte zu entscheiden. Solche Sessionen gibt es insgesamt vier Mal pro Jahr. Doch was tun Parlamentarier:innen eigentlich während der restlichen Zeit?
Das Milizsystem der Schweiz
In der Schweiz gibt es – so die gesellschaftliche Wahrnehmung – fast keine Berufspolitiker:innen. Stattdessen gehen die meisten Politiker:innen neben ihrem Amt weiter einem regulären Beruf nach. Dies entspricht der Idee des Milizprinzips: Es besagt, dass öffentliche Aufgaben und Ämter von Bürger:innen nur nebenberuflich und ehrenamtlich übernommen werden sollen. Die Politiker:innen arbeiten also die meiste Zeit über in ihrem normalen Beruf weiter und verdienen für ihr politisches Amt nur wenig. Das soll sicherstellen, dass die Interessen der breiten Bevölkerung in der Politik gut vertreten sind und dass Politiker:innen Fachwissen aus verschiedenen Bereichen haben. Diese Idee des Milizprinzips geht bis in die Antike zurück – und wird in wenigen Ländern so stark hervorgehoben wie in der Schweiz.
Die heutige Realität in der Schweiz sieht allerdings anders aus: In den letzten Jahrzehnten haben sich National- und Ständerat immer weiter professionalisiert. Eine wachsende Schweizer Bevölkerung, die grössere Relevanz des Wahlkampfs, eine stärker gestiegene Komplexität der politischen Ämter und eine zunehmende Anzahl an Aufgaben haben es nötig gemacht, dass die Politiker:innen immer mehr Zeit in ihr Amt investieren. So sitzt im nationalen Parlament heute etwa ein Drittel Vollzeit-Berufspolitiker:innen. Mit einem durchschnittlichen Beschäftigungsgrad von 70 bis 85 Stellenprozent bleibt den meisten Parlamentarier:innen keine Zeit für einen anderen Hauptberuf – insbesondere denen, die als Angestellte arbeiten. Auch wenn die National- und Ständerät:innen also nur zwölf Wochen pro Jahr in Bern sind, verbringen sie auch ihre restliche Zeit mit politischer Arbeit. In den Gemeinden und Kantonen sieht das jedoch anders aus: Hier sind die meisten Politiker:innen weiterhin nur nebenberuflich in ihrem politischen Amt tätig, was zu verschiedenen Schwierigkeiten führt.
Das Problem mit der Milizarbeit
Schätzungen zufolge leisten heutzutage zwischen 93’000 und 100’000 Personen in der Schweiz Milizarbeit. Auch wenn das nach einer grossen Zahl klingt, ist die Anzahl Miliztätiger in der Schweiz stark rückläufig. Im Vergleich zu den 1990er-Jahren ist die Miliztätigkeit um etwa 70 Prozent zurückgegangen. Viele Gemeinden klagen ausserdem darüber, dass sie nicht genug Freiwillige finden, die bereit sind, ein politisches Amt zu übernehmen. Besonders schwierig sei dabei, junge Menschen für die Milizarbeit zu begeistern.
Gründe dafür, kein Milizamt zu übernehmen, sind oftmals die grosse zeitliche Belastung durch das politische Amt, die Vereinbarkeit mit Beruf und/oder Familie und zu wenig fachliches Wissen über die politischen Themen. Denn nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in den Gemeinden und Kantonen wird die Politik immer professioneller und verlangt den Freiwilligen zunehmend Zeit und Wissen ab. Ausserdem finden die Sitzungen oft abends statt, was gut für die Vereinbarkeit mit dem Beruf ist, aber schwierig für Personen, die eine Familie haben. Doch heisst das nun, dass es das Schweizer Milizsystem bald nicht mehr geben wird?
Wie Milizarbeit wieder attraktiver wird
Das Milizsystem ist ein Grundpfeiler des politischen Systems der Schweiz und wird von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt. Deshalb wird versucht, das Schweizer Milizsystem auch weiterhin zu erhalten. Ideen dazu reichen von einem höheren Lohn bis hin zu einem Zwang, ein Milizamt zu übernehmen. Acht Kantone kennen den sogenannten Amtszwang – wer hier gewählt wird, muss das Amt antreten, auch wenn er oder sie nicht dafür kandidiert hat. Trotzdem versuchen die meisten Gemeinden und Kantone die Miliztätigen weiterhin freiwillig zu rekrutieren; beispielsweise durch eine teilweise Professionalisierung, etwa in Form einer vollamtlichen Gemeindepräsidentin oder eines vollamtlichen Gemeindepräsidenten. Dadurch soll die Belastung der Miliztätigen kleingehalten werden. Auch Schulungen zur Gemeindepolitik können hier zur Lösung des Problems beitragen. Ausserdem könnte man das Milizamt als Weiterbildung oder Dienstpflicht anerkennen.
Ein Milizamt auszuüben ist gemäss Miliztätigen eine herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit, die auch viele Vorteile mit sich bringt: So finden die meisten Milizpolitiker:innen etwa, dass sie durch ihre Tätigkeit ihr Verständnis von Politik verbessern und ein grösseres Netzwerk aufbauen können. Weiter glauben sie, dass ihre Lebenszufriedenheit höher ist und dass das Milizamt hilft, sie in ihre Gemeinde einzugliedern. Sich in der lokalen Politik zu engagieren, kann also trotz aller zeitlichen und inhaltlichen Belastungen vorteilhaft sein und Spass machen.
Die Zukunft der Milizarbeit
Auch wenn die Sessionen in Bern nur vier Mal pro Jahr für drei Wochen stattfinden, kann auf nationaler Ebene also schon lange nicht mehr von einem Milizparlament gesprochen werden. In den Schweizer Kantonen und Gemeinden übt allerdings die Mehrheit der Politiker:innen ihr Amt bis heute nur nebenberuflich aus. Könntest auch du dir vorstellen, später einmal ein Milizamt in deiner Gemeinde zu übernehmen und das Milizsystem in der Schweiz weiterzuführen? Schreib es uns in die Kommentare!
Erstellt von Alina Zumbrunn