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27. Mai 2020

Nach Corona-Lockdown: Wie weiter in der Klimapolitik?

Leere Strassen, stillgelegte Flughäfen, geringerer Stromverbrauch und eine weltweit tiefere Luftverschmutzung: In letzter Zeit häuften sich die Meldungen, dass die belastete Umwelt in Zusammenhang mit dem Corona-Lockdown kurzfristig eine Erholung erfährt. Doch ist dem wirklich so? Oder sind die langfristigen Folgen der Corona-Krise unter dem Strich schädlich für die Umwelt? Discuss it sprach mit Nationalrätin Melanie Mettler (GLP BE) und Nationalrat Mike Egger (SVP SG) über Klima-Anliegen in der Corona-Krise und eine nachhaltige Wirtschaft der Zukunft.

Erst wenige Monate ist es her, seit in den grossen Schweizer Städten Zehntausende auf die Strassen gingen, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren. Die «Fridays for Future»-Bewegung mobilisierte unzählige, vor allem junge Menschen. Sie setzten in wöchentlichen Protestzügen, die in ihrer Regelmässigkeit bisher einzigartig sind, ein Zeichen für den Klimaschutz. Immer lauter wurde der Ruf nach einer nachhaltigeren Politik und Wirtschaft. Bald machte sich dies auch in Bundesbern bemerkbar: Die Klimadebatte rückte auf der politischen Agenda ganz nach oben. Zudem legten die grünen Parteien, GLP und GPS,  in den nationalen Wahlen im letzten Herbst kräftig an Stimmenanteilen und Parlamentssitzen zu.


Dann kam Corona. Der Lockdown und die ausserordentliche Lage verhinderten nicht nur weitere Demonstrationen, sondern vereinnahmten die gesamte politische und mediale Aufmerksamkeit. Die Klimadebatte scheint weitgehend aus dem öffentlichen Fokus verschwunden zu sein. Statt über CO₂-Emissionen wurde in den vergangenen Wochen allerorts über Corona-Fallzahlen und die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns diskutiert – während die «Klimakrise» vorher zuoberst auf der politischen Agenda rangierte, wurde sie plötzlich von der «Corona-Krise» in den Schatten gestellt.


Rückeroberung der Natur – ein kurzes Strohfeuer?


Doch die Klimadebatte ist nicht vom Tisch. In den letzten Monaten häuften sich die Meldungen, wonach sich die belastete Umwelt infolge des Corona-Lockdowns etwas erholen konnte. Die Reduktion von Luft- und Strassenverkehr, sowie die Stillegung verschiedener Industriezweige führte weltweit zu einer verbesserten Luftqualität. Sowohl der Energieverbrauch als auch die CO₂-Emissionen brachen ein. Klares Wasser in Venedigs Kanälen, die Sichtung von Delfinen im Hafen von Cagliari und die Rückeroberung von Städten durch Wildtiere sind weitere Nebeneffekte des Lockdowns.


Dabei drängen sich jedoch die folgenden Fragen auf: Weist uns die Corona-Krise den Weg hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft? Oder sind diese positiven Effekte für die Umwelt nur ein kurzes Strohfeuer ohne nachhaltige Veränderungen? Die NZZ etwa schrieb am 5. Mai, dass es im Kampf gegen den Klimawandel einen «Umbau der Wirtschaft» brauche, nicht deren Stilllegung. Auch die Entwicklung des allgemeinen Konsumverhaltens nach Corona lässt sich aktuell schwer abschätzen: Es ist noch unklar, ob wir durch die Zeit des Verzichts während des Lockdowns unseren Lebensstil hinterfragen – oder ob wir uns nachher erst recht die Badeferien in Thailand gönnen, weil wir im Sommer 2020 in der Schweiz geblieben sind.


Es bleibt also zu fragen: Haben die Corona-Epidemie und die damit verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen einen positiven Einfluss auf Klima und Natur? Oder wirken sich die Verdrängung der Klimadebatte aus dem öffentlichen Fokus und die langfristigen Folgen des Lockdowns sogar negativ auf Klima und Umwelt aus? Kurz: Was sind die Chancen und Gefahren der Corona-Krise? Melanie Mettler (GLP BE) und Mike Egger (SVP SG) wagen einen Ausblick.


«So schnell wie möglich raus aus der Krise»


Die Politikerin und der Politiker sind sich einig, dass die Corona-Krise die politische Landschaft durcheinandergewirbelt und zu einer Verschiebung der Prioritäten geführt hat. Die ausserordentliche Session vor drei Wochen ist das beste Beispiel dafür. «Wir müssen uns darauf fokussieren, so schnell wie möglich aus dieser Krise herauszukommen», sagt Mike Egger. In der ausserordentlichen Session sei mehrfach versucht worden, Umweltthemen über Forderungen ins Notrecht zu integrieren. «Das ist total fehlplatziert. Dafür haben wir die normalen Sessionen», so Egger. «Jetzt müssen wir aufpassen, dass es keine Vermischungen gibt.»


Damit spricht der SVP-Nationalrat vor allem ein Thema an, das in der ausserordentlichen Session besonders heiss diskutiert wurde: Sollen die Sofortmassnahmen zur finanziellen Unterstützung der Wirtschaft, insbesondere der Luftfahrt, an Klimaschutz-Bedingungen geknüpft werden? 1.5 Milliarden Franken schwer ist das Hilfspaket, das die Liquidität der Airlines «Swiss» und «Edelweiss» sicherstellen soll. Das Parlament hat – unter lautstarkem Protest von grüner Seite – beschlossen, dass die Kreditgabe nicht an konkrete Umweltauflagen gebunden wird. Dies mit der Begründung, dass derartige Auflagen nicht in eine Soforthilfe, sondern ins CO₂-Gesetz gehören. Eine Totalrevision des CO₂-Gesetzes, so die beiden Räte, stehe bereits in der Sommersession 2020 auf dem Programm.


«Staatshilfe nur für zukunftsfähige Branchen»


GLP-Nationalrätin Mettler beurteilt die Kreditvergabe ohne Bedingungen als eher kritisch. Sie findet es legitim, bei der Staatshilfe für die Luftfahrt genau hinzuschauen: «Es nützt nichts, wenn wir marode Wirtschaftszweige und Strukturen stützen, die nicht mehr zukunftsfähig sind.» Die Luftfahrt habe sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit ihren rein auf Quantität ausgelegten Geschäftsmodellen «selber an die Wand gefahren». Leistungen würden zu so günstigen Preisen angeboten, dass sie eigentlich gar nicht finanzierbar sind.


Darauf erwidert Egger, dass die Luftfahrt eine systemrelevante Branche sei: «Der Flughafen Zürich ist für die Schweiz der Anbindungsknoten zur Welt. Ausserdem ist er für das Import- und Exportgeschäft extrem wichtig.» Das Parlament müsse jetzt vor allem die Schweizer Wirtschaft entlasten, anstatt sie mit zusätzlichen Abgaben zu belasten. «Sonst wird das sehr gefährlich. Wir steuern auf eine der grössten Rezessionen überhaupt zu.» Egger appelliert deswegen ans Parlament, bei neuen Klima-Abgaben Zurückhaltung zu üben.


Neue Technologien für mehr Nachhaltigkeit


Was, wenn die Politik aufgrund der zurzeit Corona-bedingt schwierigen Wirtschaftslage auf umfangreiche Klima-Auflagen verzichtet? Begründet dadurch, dass die Wirtschaft solche Auflagen aktuell nicht verkraften kann. So würde sich die Corona-Krise negativ aufs Klima auswirken. Melanie Mettler weist jedoch auch auf die Chancen der aktuellen Situation für eine klimafreundliche Wirtschaft hin: «Es ist für mich eine der ermutigenden Beobachtungen dieser Zeit, wie schnell sich viele Leute an unterschiedliche Arten zu arbeiten und sich zu bewegen gewöhnt haben.» Neue Arbeitsformen könnten auch in Zukunft die Verkehrsinfrastruktur entlasten. Dies sieht Mike Egger ähnlich: «Es ist eine Chance, die sich aus dieser Krise ergibt: dass man neue Technologien nutzen kann, welche die Nachhaltigkeit fördern.» Die beiden Nationalräte sind sich ebenfalls einig, dass eine nachhaltigere Wirtschaft nicht durch vom Staat verordnete Modelle erreicht wird, sondern auf Eigenverantwortung der Bürger_innen basieren soll.


Sowohl Mettler als auch Egger ziehen neue Erkenntnisse aus der Corona-Zeit. Egger: «Wir müssen den Selbstversorgungsgrad wieder erhöhen – und schauen, dass wir mehr wichtige Produkte in einer Krise selber herstellen können.» Mettler hingegen ist wieder zur Fussgängerin evolviert: «Ich war jetzt viel zu Fuss unterwegs. Das werde ich auch weiterhin so praktizieren, weil es sehr effizient und vor allem auch schön ist, sich in städtischen Gebieten zu Fuss zu bewegen.»


Alle Aussagen von Melanie Mettler und Mike Egger findest du im Video über diesem Blogbeitrag.


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Erstellt von Ann-Kathrin Amstutz