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20. November 2020

Sollen Schweizer Konzerne für Menschenrechtsverletzungen im Ausland haften müssen?

Im virtuellen Discuss it-Podium zur Konzernverantwortungsinitiative duellierten sich ein Befürworter und eine Gegnerin der Vorlage. In der aufgeheizten Debatte warfen sie sich Unehrlichkeit und Vernebelungstaktiken vor – sprachen aber auch über Kindererziehung und zu schnell fahrende Brüder.

«Sogar Konzernchefs sagen unter vier Augen, dass etwas gehen muss. Die Schweiz hat viel zu wenig gemacht – jetzt bekommt sie eine Chance.» – «Diese Initiative führt nicht zum Ziel, sondern benachteiligt bloss unsere KMU.» Der Abstimmungskampf zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (kurz KVI oder UVI), über die die Schweiz am 29. November zusammen mit der Kriegsgeschäfte-Initiative abstimmt, wird mit harten Bandagen geführt.

So ist der Tonfall zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen der Vorlage seit Wochen stetig wie giftiger geworden. Wo die Unterstützenden der Initiative den Gegner_innen vorwerfen, Gewinnmaximierung auf Kosten von Menschenleben zu betreiben, werfen diese den Unterstützenden im Gegenzug vor, eine unehrliche Kampagne zu führen. Sie sprechen von «Fake News» und einer moralisch überhöhten Argumentation seitens der Befürwortenden: Wer die Initiative ablehne, sei ein schlechter Mensch, so das Narrativ, das konstruiert werde.

Wermuths Kindererziehung 

Die sowohl argumentativ als auch emotional aufgeladene Stimmung war auch im digitalen Discuss it-Podium zur KVI/UVI deutlich spürbar. Das Podium wurde, wie auch dasjenige zur Kriegsgeschäfte-Initiative, digital durchgeführt. Für die Unterstützenden diskutierte der Nationalrat Cédric Wermuth der SP Kanton Aargau, der gleichzeitig Co-Präsident der SP Schweiz ist; seine Widersacherin war Andrea Gmür, CVP-Ständerätin aus dem Kanton Luzern und Fraktionspräsidentin der sogenannten Mitte-Fraktion, die die Abgeordneten der CVP, BDP und EVP im Bundeshaus vereint. Moderiert wurde das Podium von Discuss it-Moderator Reto Mitteregger. SP, Grüne, GLP, EVP und BDP unterstützen die Initiative zusammen mit einer breiten Allianz aus NGOs. SVP, FDP und CVP bekämpfen die Vorlage zusammen mit den Wirtschaftsverbänden.

Einen ersten Pflock schlug Wermuth ein. Die Initiative fordere letzten Endes nichts anderes als eine Selbstverständlichkeit: «Wer einen Schaden anrichtet, muss für diesen geradestehen» Nach diesem Grundsatz wolle er zumindest seine Kinder erziehen «Fehler passieren. Der Charakter aber zeigt sich darin, wie mit den Fehlern umgegangen wird.» Der moralische Ton, er war hier spürbar.

Gmürs Bruder

Was will die KVI/UVI? Sollte sie angenommen werden, müssten sich Schweizer Unternehmen, die im Ausland tätig sind, für Verletzungen gegen international anerkanntes Menschenrecht und Umweltstandards, die sie dort begehen, in der Schweiz rechtlich verantworten. Gerade in Entwicklungsländern soll gemäss der Initiant_innen so verhindert werden können, dass es zu systematischen Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen kommt.

Andrea Gmür auf gegnerischer Seite betont mehrfach, dass sie die Ziele der Initiative «zu tausend Prozent unterstütze.» Allerdings sei die Initiative grundsätzlich falsch konzipiert, sodass eine Umsetzung schlicht nicht möglich sei:«Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen für Fehler geradestehen muss, die es gar nicht selbst begangen hat. Ich zahle ja auch nicht die Busse, wenn mein Bruder zu schnell Auto gefahren ist.»

Entlang der gesamten Wertschöpfungskette

Gmür sprach damit die sogenannte Sorgfaltsprüfung an. Die Konzernverantwortungsinitiative verlangt, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette, auf die ein Schweizer Konzern für ein von ihm hergestelltes Produkt zurückgreift, Menschenrechte und Umweltverträglichkeit gewährleistet sind. 

Gmürs Sorge hierbei: Eine solche Überprüfung sei für viele KMU (kleine und mittlere Unternehmen) nicht praktikabel, weil diese mit einem immensen Bürokratieaufwand verbunden sei. Am Schluss müsste ein Unternehmen für die Verfehlungen irgendeines Zulieferers im Ausland haften, mit dem es gar nichts zu tun habe, behauptet Gmür.

Vernebelungstaktik

Davon wollte Cédric Wermuth nichts wissen. Immer dann, wenn man über den Inhalt der Initiative reden wolle, würden die Gegner_innen vom Thema ablenken – so auch bei der Sorgfaltsprüfung: «Man muss nichts kontrollieren, was nicht kontrollierbar ist. Die Idee der Sorgfaltsprüfung ist, dass ein Konzern offenlegt, was er selbst weiss» Abgesehen davon sei die Sorgfaltsprüfung schon heute Bestandteil der Unternehmensführung «jedes verantwortungsvollen Konzerns», so Wermuth mit Nachdruck.

Auf dieses Argument Wermuths geht Gmür gar nicht ein. Stattdessen kritisiert sie die Initiative grundsätzlich. Man wüsste halt bei ihrer Umsetzung gar nicht genau, woran man wäre, denn: «Der Initiativtext ist dermassen schlecht, dass es zehn bis 20 Seiten Erläuterungen des Initiativkomitees braucht. Das geht so nicht.»

Bahn frei für den Gegenvorschlag?

Gmür appelliert zum Schluss noch einmal daran, die Initiative abzulehnen. Dann nämlich sei die  Bahn frei für den Gegenvorschlag, der die umsetzbaren Elemente des Begehrens aufgreife. Wermuth auf der anderen Seite hielt sein Schlussvotum kurz: «Die Frage ist simpel: Wir stimmen darüber ab, ob wir in unsere Verfassung schreiben, dass sich Schweizer Unternehmen im Ausland an Menschenrechte halten müssen. Wer das will, stimmt Ja, wer das nicht will, stimmt Nein.» Andrea Gmür schüttelt dazu nur den Kopf.

Hast du dir schon eine Meinung bilden können? Wenn ja, dann fülle deinen Abstimmungszettel aus und bringe das Couvert heute noch zur Post. Wenn nein, dann lies noch mehr Infos zur Volksinitiative auf unserem Discuss it-Blog nach.



Alle Aussagen der in diesem Artikel vorkommenden Personen findest du im Video über diesem Beitrag.



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Erstellt von Reto Heimann