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31. März 2021

Liestal-Demonstration: Auftakt zu immer grösseren Kundgebungen?

Die bevorstehende dritte Infektionswelle brachte nicht nur eine Verlängerung der Massnahmen des Bundes mit sich, sondern auch eine Flut an Absagen diverser Grossanlässe. Mit jedem Tag wächst die Liste an gestrichenen oder verschobenen Veranstaltungen sowie der Unmut in Teilen der Bevölkerung. Dieser Unmut in Bezug auf die Corona-Politik äussert sich in den immer häufiger stattfindenden Demonstrationen. Discuss it hat sich gefragt: Welche Kantone haben welche Regelungen? Ist Demonstrations-Tourismus denkbar?

Die ‹Liestal-Demonstration› vom 20. März sorgte für grosses Aufsehen. In der Basel-Landschaft Gemeinde versammelten sich zwischen 6’000 bis 8’000 Menschen, die gegen die Corona-Massnahmen des Bundes demonstrierten. Die Bewilligung für diese Versammlung wurde von den Organisator_innen von Stiller Protest eingeholt. Fehlende Bewilligung war also nicht der Grund für die spätere Aufregung. Viel mehr sorgte das Missachten der vereinbarten Masken- und Abstandspflicht – insbesondere angesichts der hohen Teilnehmerzahl – für rote Köpfe.

Schutzkonzepte – nicht nur gewünscht, sondern gefordert

Schaut man auf die nationale Regelung des Bundes, liest man, dass Veranstaltungen aufgrund der epidemiologischen Lage grundsätzlich verboten sind. Alle Ausnahmen sind aufgelistet sowie der Verweis, dass für sie eine Schutzkonzeptpflicht gilt. Neben religiösen Veranstaltungen sind auch Bestattungen, Selbsthilfegruppetreffen sowie Wettkämpfe und Auftritte im Profibereich des Sports und der Kultur erlaubt.

Politik ausüben ohne Kontakt zu anderen Menschen ist mit Schwierigkeiten verbunden. Deshalb finden sich auf der Liste der Ausnahmen auch einige öffentliche Veranstaltungen für die Politikbetreibung. So dürfen beispielsweise Versammlungen zur politischen Meinungsbildung mit maximal 50 Personen durchgeführt werden. Solche Versammlungen sind wichtig in Bezug auf die Meinungsfreiheit und somit dazu da, Meinungen öffentlich kundzutun und andere so von der eigenen Meinung zu überzeugen. Ohne Maximalbegrenzung sind hingegen Parlaments- und Gemeindeversammlungen möglich sowie politische Demonstrationen. Letztere kennen zumindest auf nationaler Ebene keine Kontingentierung.

Für solche politischen und zivilgesellschaftlichen Kundgebungen ist in der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie unter Art. 6c, Abschn. 2 festgelegt, dass alle Teilnehmenden ab zwölf Jahren – sofern hierfür kein ärztliches Attest vorliegt – eine Gesichtsmaske tragen müssen.

Kantonale Verschärfungen

Auf nationaler Ebene gibt es also die klare Forderung, die Schutzmassnahme des Maskentragens einzuhalten. In Bezug auf die Personenobergrenze für Demonstrationen gibt der Bund jedoch keinerlei Angaben oder Vorschriften. Die Kantone dürfen die Zügel demnach zu jeder Zeit straffer ziehen. Wie lauten denn die momentanen kantonalen Bestimmungen?

Betrachtet man die aktuellen Massnahmen des Kantons Zürich, so findet sich unter dem Titel Verbot von öffentlichen Veranstaltungen eine Obergrenzbeschränkung von 15 Personen für politische Demonstrationen. Mit dieser strengen Regel sticht Zürich jedoch nicht alleine hervor. Denn auch der Kanton Bern nennt unter dem Abschnitt Verschärfte Massnahmen im Kanton Bern dieselbe strikte Begrenzung. Beide Kantone ähneln sich auch in der konsequenten Umsetzung: Die Auflösung von derzeitigen politischen Kundgebungen wie etwa der Frauen- oder Klimademo sowie diversen Corona-Demonstrationen schlug hohe Wellen in den Medien.

In den meisten anderen Kantonen finden sich jedoch keine einschneidendere Bestimmungen, so zum Beispiel in Luzern, Basel-Stadt, St. Gallen, Tessin und Genf. Auch auf der Website des Kantons Basel-Land wird bloss die Regelung des Bundes verlinkt. Basel-Land hat also nach der Demonstration in Liestal keinerlei Verschärfungen bezüglich einer Personenobergrenze für politische Kundgebungen beschlossen. Anders sieht es hingegen im Kanton Uri aus.

Präventivmassnahme im Kanton Uri

Nach der Kundgebung in Liestal sollte die nächste grössere Menschenmasse am 10. April in Uri zusammenkommen. Schätzungen zufolge wären gegen 10’000 Menschen erwartet worden, die ein Zeichen gegen die aktuelle Corona-Politik setzen wollten. Letzte Woche informierte Uri in einer Medienmitteilung, dass die Sicherheitsdirektion nach sorgfältiger Abwägung den Organisator_innen der Kundgebung keine Bewilligung erteilt, auch wenn sie auf privatem Grund stattgefunden hätte. Ihre Entscheidung begründet sie einerseits mit den Erkenntnissen aus den letzten Kundgebungen – dass sich nur wenige Teilnehmende an die Maskenpflicht des Bundes halten – und andererseits mit fehlenden Verkehrs- und Parkkonzepten seitens der Veranstaltenden.

Zusätzlich appellierte der Innerschweizer Kanton an alle Demonstrationswilligen, nicht nach Altdorf zu pilgern. Die Demonstration in Liestal hat starke Gegenreaktionen ausgelöst, die sich insbesondere im Netz zeigte. So wurde von Schauspieler Nils Althaus der Hastag #noliestal initiiert, der dann einen starken Trend erfuhr. Hierbei stellt sich die Frage, ob der zivilgesellschaftliche Druck zu gross war, sodass der Kanton Uri gar nicht anders entscheiden konnte?

Doch damit nicht genug: Einen Tag nach dieser Entscheidung, am 26. März, vermeldete der Regierungsrat, dass ab dem 1. April für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebungen eine Personenobergrenze von 300 gilt. Der Kanton Uri setzt mit diesem Entscheid ein Zeichen und geht mit dieser Anpassung des kantonalen Reglements, laut eigener Aussage, gegen die Verbreitung des Coronavirus vor. Doch das gefällt nicht allen.

Aktionsbündnis Urkantone erhebt Beschwerde

Die Organisator_innen der geplanten Urner Demonstration, das Aktionsbündnis Urkantone, meldeten sich nach dem negativen Bewilligungsentscheid gleich zu Wort: «Es gibt keinen ausreichenden sachlichen Grund für dieses Verbot, es handelt sich um eine rein politische Entscheidung […]» Sie erachten die vorgebrachten Gründe der Sicherheitsdirektion als Ausreden und sehen die Meinungsfreiheit beschnitten.

Es scheint, dass die Zahl an Personen, die mit den aktuellen Corona-Massnahmen nicht zufrieden sind, wächst – oder dass deren Unmut zumindest immer sichtbarer wird. In den letzten Tagen kam es in verschiedenen Städten zu mehreren Kundgebungen oder grossen Partys – nicht alle waren erlaubt und nicht alle waren friedlich. Beispiel dafür ist die unbewilligte Demonstration in Zürich von letztem Samstag oder die illegale Party von rund 250 Personen am Freitagabend in St. Gallen, bei der es auch zu Sachschäden und Ausschreitungen kam. Mit diesen Schwierigkeiten hat aber nicht nur die Schweiz zu kämpfen. Auch in anderen europäischen Ländern kam es in letzter Zeit vermehrt zu Demonstrationen, die oft nicht nur friedlich verliefen.

In der Schweiz soll am 24. April in Rapperswil-Jona eine nächste Grossdemonstration stattfinden. Die dahinterstehende Organisation ist keine Unbekannte. Es ist dieselbe, die bereits in Liestal zur Kundgebung aufgerufen hat.

St. Gallen setzt vorerst keine Personenobergrenze

«Die St. Galler Regierung will das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit aufrecht erhalten», so äusserte sich der St. Galler Sicherheitsdirektor Fredy Fässler (SP) vor einigen Tagen gegenüber südostschweiz. Es sei nun wichtig, mit den Veranstaltenden ins Gespräch zu kommen. Ihnen soll die Möglichkeit gegeben sein, nachzuweisen, dass sie eine Kundgebung durchführen können, bei der die Forderungen des Bundes eingehalten werden.

Die Chance wurde ihnen eingeräumt. Doch gestern teilte nun der Stadtrat mit, dass sie dem Protestmarsch keine Bewilligung erteilt. Auch hier stellt sich die Frage: Ist der zivilgesellschaftliche Druck zu gross, um solche grossen politischen Kundgebungen zur Zeit zuzulassen?

Nicht gleich friedvoll und gesprächsbereit zeigt sich der Kanton Basel-Land. Nach der Liestaler-Aktion von Stiller Protest weht ein eisiger Wind. «Ich verurteile das Verhalten der Organisatoren und der Teilnehmenden scharf», meldete sich Sicherheitsdirektorin Kathrin Schwab (SP) in der Aargauer Zeitung zu Wort. «Die Organisatoren zeigten keinerlei Anstrengungen, die Regeln durchzusetzen», meinte Sie weiter. So ist es nicht verwunderlich, dass von Regierungsseite nun Abklärungen getroffen wurden, ob die Veranstaltenden gebüsst werden könnten.

In einer Medienmitteilung des Regierungsrats vom 23. April hiess es, dass aufgrund fehlender Rechtsgrundlage keine Busse gegen die Organisator_innen erhoben werden kann. Eines steht für sie jedoch fest: Stiller Protest soll zukünftig keine weiteren Demonstrationsbewilligungen im Kanton Basel-Land erhalten.

Kommt es zu Demonstrations-Tourismus?

Da der Bund in seiner Covid-19-Verordnung keine Personenbegrenzung für Demonstrationen festgelegt hat, gibt es, wie so oft in der Schweiz, grosse kantonale Handhabungsunterschiede.

In Basel-Land wird Stiller Protest nun keine Bewilligungen mehr bekommen. In anderen Kantonen werden die Karten für sie jedoch neu gemischt. Es kann demzufolge eine Verschiebung von Demonstrationsbewilligungsgesuchen von strikten Kantonen hin zu kulanteren kommen – solange der Bund nicht eingreift.

Freddy Fässler (SP), Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren, wurde von Schweiz aktuell für die Sendung vom 22. März zu diesem Thema des Demonstrations-Tourismus befragt. «Wenn aufgrund der Handhabungsunterschiede die liberaleren Kantone alle nicht bewilligten Demonstrationen zusätzlich aufgehalst bekommen, dann haben wir ein Problem. In dem Fall wird sich die Politik miteinander verständigen müssen, wie man damit umgehen will.», meint Fässler.

Liberale Handhabung oder strikte Regelung?

Demonstrations-Tourismus ist vorstellbar. Ob es dazu kommt, wird sich zeigen. Ist die gestrige Entscheidung des Kanton St. Gallen wegweisend? Lassen andere Kantone noch Demonstrationen zu, oder lassen sich diese nicht mehr mit dem zivilgesellschaftlichen Druck vereinbaren?

Wie denkt ihr über die Corona-Demonstrationen in der Schweiz? Seht ihr in den strikten Regeln eine Beschneidung der Meinungsfreiheit? Oder denkt ihr, dass eine nationale Personenbeschränkung für politische Kundgebungen sinnvoll ist?

Lasst es uns wissen in den Kommentaren!

Erstellt von Manuel Bucher