Covid-19-Gesetz: Unterstützung der Corona-Notleidenden oder inakzeptable Machtbefugnisse für den Bundesrat?
Am 13. Juni stimmen wir über das Covid-19-Gesetz ab. Die einen sagen, es helfe dabei Existenzen zu sichern. Die anderen finden, der Bundesrat reisse damit die Macht an sich. Die Argumente im Überblick.
Das Coronavirus hat sich in so ziemlich alle Lebensbereiche eingemischt, nun macht sich die Pandemie auch direkt an der Abstimmungsurne bemerkbar. Nachdem während der ersten Corona-Welle ab Frühling 2020 ein ganzer Abstimmungssonntag der Pandemie zum Opfer fiel, stimmen wir nun das erste Mal über eine Frage ab, die sich ums Coronavirus dreht: das Covid-19-Gesetz.
Das Covid-19-Gesetz ist ein kompliziertes Gesetz mit einer komplizierten Vorgeschichte. Discuss it erklärt dir die wichtigsten Punkte und zeigt dir die Argumente der Befürwortenden und Gegner:innen auf.
Covid-19-Gesetz: Was ist das überhaupt?
Als das Coronavirus im Frühjahr 2020 zuerst Europa und dann auch die Schweiz traf, musste es schnell gehen. Der Bundesrat verordnete einen Shutdown: Geschäfte, Restaurants, Freizeitangebote wie Kinos, Theater oder Konzert-Locations mussten schliessen. Gleichzeitig beschloss der Bundesrat umfassende finanzielle Hilfen, um die Schäden, die aus diesem Shutdown für die Wirtschaft entstehen würden, abfedern zu können.
Aber das ging ja ganz ohne Covid-Gesetz, oder?
Ja, aber nur, weil der Bundesrat sich auf Notrecht berief. Verordnungen, die sich auf Notrecht stützen, sind aber in jedem Fall auf sechs Monate beschränkt. Das heisst: Ab September 2020 konnte der Bundesrat seine Corona-Beschlüsse nicht mehr mit Notrecht legitimieren. Deshalb schlug er dem Parlament ein Gesetz vor, dass sicherstellen soll, dass insbesondere die Corona-Finanzhilfen weitergeführt werden können. Das Parlament diskutierte in der Herbstsession 2020 über das Gesetz und nahm es daraufhin an. Es trat am 25. September 2020 in Kraft.
Das verstehe ich nicht. Wie können wir über etwas abstimmen, das schon gilt?
Du hast Recht. Normalerweise treten Gesetze erst dann in Kraft, wenn die 180-tägige Referendumsfrist entweder abgelaufen ist oder das zustande gekommene Referendum an der Urne abgelehnt wurde. In diesem Fall aber hat das Parlament das Gesetz als sogenannt Dringlichen Beschluss verabschiedet, weshalb das Gesetz sofort in Kraft treten durfte. Es wurde mittlerweile sogar bereits zweimal überarbeitet.
Okay. Was regelt das Covid-19-Gesetz denn genau?
Es geht in erster Linie um Finanzielles. Die Corona-Erleichterungen bei der Kurzarbeit gehören da genauso dazu wie die Härtefallgelder für die Restaurants und andere Betriebe. Bei der Kurzarbeit geht es vor allem darum, dass Menschen mit tiefen Löhnen (unter 3470 Franken monatlich) nicht nur 80, sondern 100 Prozent ihres Lohnes erhalten. Dank der Corona-Erleichterungen haben auch Lehrlinge, Teilzeitangestellte und Angestellte auf Abruf Anrecht auf Kurzarbeits-Entschädigungen.
Was regelt das Covid-19-Gesetz sonst?
Im Gesetz enthalten sind auch Unterstützungs-Massnahmen für die Kultur, den professionellen Sport und die Medien. Auch schafft die Covid-19-Gesetz die rechtliche Grundlage für das Schweizerische Impfzertifikat, das bis Ende Juni für alle Geimpften, Getesteten und Genesenen zur Verfügung stehen soll.
Wer ist für das Gesetz?
Der Bundesrat und eine deutliche Mehrheit des Parlaments stehen hinter dem Gesetz. Auch alle Parteien – mit Ausnahme der SVP – haben sich für die Initiative ausgesprochen. Lilian Studer, Nationalrätin der EVP, sagt im Gespräch mit Discuss it: «Wir befinden uns in der letzten Etappe der Corona-Massnahmen. Es ist wichtig, dass wir auch auf den letzten Metern diejenigen unterstützen, die von der Krise besonders stark betroffen sind.» Dazu gehören Restaurant-Betreiber:innen oder Künstler:innen. Für Studer ist klar: «Das Covid-19-Gesetz sichert Existenzen. Wird es abgelehnt, bestraft man damit ausgerechnet diejenigen, die ohnehin schon am stärksten unter der Krise leiden.»
Wer ist gegen das Gesetz?
Keine der grossen politischen Parteien in der Schweiz bekämpft das Gesetz direkt – die SVP hat Stimmfreigabe beschlossen. Das Referendum angeführt, hat der Verein «Freunde der Verfassung». Gemäss Vertreter:innen des Vereins wurde das Covid-19-Gesetz am Volk vorbei beschlossen. Auch finden sie, dass das Gesetz dem Bundesrat zu grosse, inakzeptable Machtbefugnisse gäbe.
Woran stören sich die Gegner:innen konkret?
In erster Linie geht es den Gegner:innen um die Corona-Massnahmen des Bundes wie zum Beispiel die Restaurantschliessungen – auch wenn die gar nicht Bestandteil des Covid-19-Gesetzes sind, sondern über das Epidemiengesetz laufen. Diesem hat die Schweizer Stimmbevölkerung 2013 zugestimmt. Andrea Keller, SVP-Kantonsrätin aus dem Kanton Schwyz, findet gegenüber Discuss it dennoch: «Wir müssen die immer weiter reichenden Machtbefugnisse des Bundesrats stoppen. Er selbst wird sie nämlich nicht freiwillig wieder abgeben. Die Bevölkerung muss ein Zeichen gegen die Willkür des Bundesrats setzen.»
Es geht den Gegner:innen also vor allem um Symbolpolitik: Bundesrat stoppen und Massnahmen aufheben – obwohl beides gar nicht Teil des Gesetzes ist?
Nicht ganz. Sogar Befürworter:innen des Gesetzes geben zu, dass es überladen ist. Was soll ich als Stimmbürger:in entscheiden, wenn ich beispielsweise für die Weiterführung der Kurzarbeits-Erleichterungen bin, aber gegen die finanzielle Unterstützung der Profi-Sportklubs? Das Gesetz vermische Kraut und Rüben, wie Andrea Keller findet: «Es hätte ein einfaches, separates Gesetz gebraucht. Das wäre auch in der Praxis viel einfacher gewesen». Sie kenne viele Leute, die bis heute vergebens auf die versprochenen Hilfszahlungen gewartet hätten, sagt Keller.
Es gibt auch Personen, die das Gesetz ablehnen, weil sie einen Impfzwang befürchten. Was hat es damit auf sich?
Diese Angst ist unbegründet. Fragen eines allfälligen Impf-Obligatoriums werden nicht durch das Covid-19-Gesetz, sondern wiederum durch das Epidemiengesetz geregelt. Der Bundesrat hat aber wiederholt betont, dass es in der Schweiz nicht zu einem Impf-Obligatorium kommen wird. Das Impfzertifikat, das auf Basis des Covid-19-Gesetzes entstehen wird, sieht aber vor, dass an bestimmten Orten nur Zutritt bekommen wird, wer eines der ‹3G› erfüllt: An Grossanlässe oder in Nachtclubs soll nur dürfen, wer geimpft, getestet oder genesen ist. Die «Freunde der Verfassung» beklagen, das sei diskriminierend. Das wird eine Frage sein, die die Jurist:innen der Schweiz in Zukunft noch beschäftigen wird – unabhängig vom Abstimmungsresultat.
Das Covid-19-Gesetz ist übrigens nicht zu verwechseln mit dem CO2-Gesetz, über das wir ebenfalls am 13. Juni abstimmen. Zu den Pro- und Contra-Argumenten dazu geht es hier lang.
Alle Aussagen der in diesem Artikel vorkommenden Personen findest du im Video über diesem Beitrag.
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