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14. September 2022

Wir stimmen ab: Änderung des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer

Demnächst wird an der Urne über die Reform der Verrechnungssteuer entschieden. Discuss it hat mit Vertreter:innen der Pro- (Mitglieder der JSVP, JGLP und JFS) und Contra-Seite (Lewin Lempert, Projektleiter SP) gesprochen.

Die Verrechnungssteuer klingt auf den ersten Blick trocken und kompliziert, kann aber leicht verständlich gemacht werden. In diesem Blogbeitrag erfährst du mehr über die Funktionsweise der Verrechnungssteuer, welche Bereiche sie tangiert und was die Reform bezwecken möchte. Zudem ordnen Befürwortende und Gegner:innen den Sachverhalt ein. 

Was ist die Verrechnungssteuer überhaupt?

Die Verrechnungssteuer ist eine vom Staat erhobene Steuer auf den Ertrag des Kapitalvermögens (Geld, das man nicht als Lohn für seine Arbeit, sondern durch das Anlegen von Kapital verdient, z.B. Zinsen). Die Verrechnungssteuer wird unter anderem auf Obligationen, Aktien, Lottogewinne und Pensionen erhoben. Die Reform würde aber nur die Verrechnungssteuer auf Obligationen betreffen.

Kauft sich eine Person eine Obligation, erhält sie im Gegenzug einen Zins (Geld). Personen, die in der Schweiz Obligationen kaufen, erhalten jedoch nicht den ganzen Zins direkt. Stattdessen erhebt der Bund die Verrechnungssteuer in Höhe von 35%. Das heisst, dass der Bund 35% des Zinses zurückbehält, bis der Zins in der Steuererklärung korrekt angegeben wird. Erst dann erhält die Person den gesamten Zins vom Bund zurück.

Bei inländischen Obligationen hat die Verrechnungssteuer also einen Sicherungszweck. Sie soll Steuerhinterziehung reduzieren, indem Steuerpflichtige ihre Einkünfte, die von der Verrechnungssteuer betroffen sind, bei der Steuerbehörde angeben. Bei ausländischen Personen, die Schweizer Obligationen kaufen, ist dies jedoch in der Regel nicht der Fall: Sie erhalten die 35% Verrechnungssteuer teilweise nicht zurück, weil sie in der Schweiz keine Steuererklärung ausfüllen können bzw. müssen.

Kauft jemand eine Aktie, erwirbt man einen Anteil des Unternehmens, wird dadurch Miteigentümer:in und erhält entsprechende Rechte. Durch den Kauf einer Aktie gibt man dem Unternehmen Geld in Form von Eigenkapital und erhält im Gegenzug Anrecht auf eine Mitbeteiligung an Gewinnen in Form von Dividenden (Geld). Aktienkapital stellt eine sehr wichtige Finanzierungsquelle dar und keine Aktiengesellschaft kann ohne Eigenkapital existieren.

Eine Obligation (auch Anleihe oder Bond genannt) hingegen ist eine Schuldverschreibung (Fremdkapital), die der herausgebenden Partei ebenfalls als Finanzierungsquelle dient. Im Gegensatz zu Aktien haben Obligationen einen vordefinierten Rückzahlungstermin und die Höhe der Zinsen ist ebenfalls bekannt, was sie zu relativ vorhersehbaren und somit beliebten Finanzierungsformen macht.

Ein Beispiel

Die Grafik aus dem Abstimmungsbüchlein verdeutlicht die Funktionsweise der Verrechnungssteuer noch einmal. Investiert eine Person in Obligationen und bekommt 1’000 CHF Zinsen, erhält sie direkt 65% der Zinsen, also 650 CHF. Die restlichen 35% der Zinsen (350 CHF) gehen zuerst an den Staat bzw. die Steuerverwaltung. Erst, wenn die Person die ganze Investition in der Steuererklärung angibt, erhält sie die restlichen 35% der Zinsen. So wird der Steuerhinterziehung vorgebeugt.

Was möchte die Vorlage ändern?

Die Abstimmungsvorlage möchte die Verrechnungssteuer in der Höhe von 35% abschaffen. Es würde sich allerdings nur um eine Teilabschaffung der Verrechnungssteuer handeln; wie gesagt würde nur die Verrechnungssteuer auf Obligationen wegfallen. Das beträfe lediglich einen kleinen Teil der Einnahmen (6% aller Verrechnungssteuern), der Hauptteil der Steuer bliebe somit weiterhin bestehen.

Das Ziel dieser Reform ist es, dass Schweizer Unternehmen wieder vermehrt Obligationen in der Schweiz statt im Ausland herausgeben, wo es oft keine solche Verrechnungssteuer gibt. Dies würde, so der Bundesrat, gleiche Bedingungen im In- und Ausland schaffen und die Wertschöpfung somit in der Schweiz halten bzw. hierzulande steigern.

Was sind die Argumente der Befürwortenden?

Für die Abschaffung der Verrechnungssteuer führen die Befürwortenden (GLP, FDP, SVP, deren Jungparteien und die Mitte) diverse Punkte auf: In erster Linie sei zentral, das Geschäft mit den Obligationen wieder in die Schweiz zurückzuholen, welches jahrelang ins Ausland abgewandert sei und was zu einem Schwund Schweizer Arbeitsplätze geführt habe. Ohne Verrechnungssteuer würden inskünftig wohl auch wieder mehr Ausländer:innen in Schweizer Obligationen investieren, vermutet David Trachsel (Präsident JSVP). Während zwar mit kurzfristigen Kosten gerechnet werden muss, wird geschätzt, dass innert weniger Jahre nach dem Wegfall der Verrechnungssteuer Mehreinnahmen generiert würden – im besten Fall schon im Jahr des Inkrafttretens. Auch der administrative Aufwand könne gesenkt werden, argumentiert Trachsel.

Weiter würde der Wirtschaftsstandort Schweiz wieder an Attraktivität gewinnen, wenn der Handel mit Obligationen einfacher würde. Beispielsweise könnten durch die Reform inskünftig auch KMU Schweizer Obligationen herausgeben, wovon die Schweizer Wirtschaft stark profitieren würde, meint Marilène Aeschlimann (Vizepräsidentin JFS).

Zudem muss die Schweiz aufgrund der OECD-Reform, welche eine internationale Mindeststeuer definiert, ihre Wettbewerbsfähigkeit bewahren, was dadurch erreicht werden soll, indem an anderen Stellen (wie der Abschaffung der Verrechnungssteuer) Vorteile geschaffen werden. Ohne Verrechnungssteuer werden Obligationen attraktiver, das heisst, auch Bund, Kantone oder Service Public Institutionen können ihre Obligationen dann zu tieferen Zinsen anbieten, was dem Staat und schlussendlich den Steuerzahlenden Geld spart, argumentiert Sereina Kamm (Vorstand JGLP).

Was sind die Argumente der Gegner:innen?

Auf der Gegenseite befürchtet das Referendumskomitee (bestehend aus SP, Grünen, EVP und Gewerkschaften) vor allem Steuerausfälle. Diese schätzen sie auf 800 Mio. CHF pro Jahr. «Im Kern geht es dann um die Frage, wer unsere Spitäler, Schulen und dringend notwendigen neuen Windkraftwerke, Staudämme und Solarpanels bezahlt», sagt Lewin Lempert (Projektleiter SP).

Eine weitere Befürchtung der Gegenseite ist, dass durch die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf Obligationen der Anreiz entfalle, Kapitalerträge korrekt zu versteuern und es somit zu mehr Steuerhinterziehung käme.

Zudem schaffe die Aufhebung der Verrechnungssteuer neue Ungleichheiten und Sonderrechte, so Lempert: Einerseits würden 200 Grosskonzerne von der Abschaffung profitieren, während 600’000 KMU leer ausgehen, weil sie sich nicht über Obligationen finanzieren. Auf der anderen Seite bliebe die Verrechnungssteuer für die Bevölkerung bestehen, da sie nur für Grossanleger:innen abgeschafft würde.

Was sagen Bundesrat und Parlament?

Bundesrat und Parlament unterstützen die Reform. Der Nationalrat begrüsst die Abschaffung der Verrechnungssteuer mit 125 Ja-Stimmen (bei 70 Nein-Stimmen), der Ständerat mit 31 Ja-Stimmen (bei 12 Nein-Stimmen).

Erstellt von Sophie Ruprecht