15. Dezember 2021
3½ Fragen an zwei Jugendpsychiaterinnen: Was kann ich tun, wenn es mir schlecht geht?
Die Situation ist alarmierend: Immer mehr Jugendliche geraten in psychische Not, wie etwa das SRF berichtet. Das Problem hat sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft. Was du tun kannst, wenn es auch dir schlecht geht, und wo du Hilfe findest, erklären zwei leitende Ärztinnen der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Depressive Episoden, Ängste und Zwangsstörungen, Ess- und Schlafstörungen bis hin zu Suizidgedanken und selbstverletzendem Verhalten: Davon sind immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen. Eine Entwicklung, die durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Massnahmen noch verstärkt wurde. Soziale Kontakte wurden massiv eingeschränkt, Schulen geschlossen, Events abgesagt. Wie wirken sich diese politischen Massnahmen auf die psychische Gesundheit von jungen Menschen aus? Gemäss einem Artikel des Tages-Anzeigers war bereits vor der Coronakrise jedes fünfte Kind von psychischen Problemen betroffen, während der Pandemie dann gar jedes dritte.
Maurizia Franscini und Frederike Kienzle, Leitende Ärztinnen an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, benennen einige Folgen. Sie beobachten eine Vereinsamung, insbesondere bei Jugendlichen, die schon vor der Pandemie sozial weniger eingebunden waren. Die Gefahr von übermässigem Medienkonsum nehme zu. Und bei vielen sinke die Motivation in der Schule und im Beruf wegen der unsicheren, nicht klar vorstellbaren Zukunft.
Leidest auch du unter den Folgen der Pandemie oder kämpfst mit psychischen Problemen? Auf Jugendliche zugeschnittene Hilfsangebote gibt es bei Pro Juventute (Notrufnummer 147) und auf der Website, bei den Psychiatrischen Diensten deines Kantons und beim Jugendpsychologischen Angebot des ask!. Auch bei der Sorgen-Hotline der Dargebotenen Hand (Nummer 143) oder online und bei Pro Mente Sana (Nummer 0848 800 858) oder online findest du Hilfe.
Discuss it hat einige Aussagen aufgenommen, die Maurizia Franscini und Frederike Kienzle in der Sprechstunde immer wieder von Jugendlichen hören. Die Ärztinnen sagen, welchen Rat sie Jugendlichen in dieser Situation geben würden.
«Seit Beginn der Pandemie bin ich ständig am Handy, oft auch die ganze Nacht.» Wie kann ich meinen Handykonsum in den Griff bekommen?
Dr. med. Maurizia Franscini und Dr. med. Frederike Kienzle: Nimm dir Zeit zu überlegen: Was mache ich am Handy? Wann und wieviel Zeit verbringe ich am Handy? Was tut mir gut und was nicht? Mit solchen Fragen kannst du deine Bildschirmnutzung analysieren und dir beispielsweise selbst eine Challenge stellen, wie viel Zeit du am Handy sein willst. Schreibe dir alternative Tätigkeiten auf und probiere sie aus. Gewisse Handy-Tätigkeiten lassen sich auch gemeinsam mit anderen in real life erleben, etwa das Schauen von Filmen.
Wichtig ist aber auch, auf eine feste Tag-Nacht-Struktur zu achten und handyfreie Zeiten festzulegen. Besonders vor dem Einschlafen: Das Handy sollte etwa eine Stunde vor dir schlafen gehen und ausgeschaltet werden.
«Ich fühle mich ständig müde und kann mich kaum für etwas motivieren.» Wie finde ich meine Motivation wieder?
Mache etwas, das dir Freude bereitet. Überlege selbst, was das sein könnte, oder frage Personen, die dich gut kennen – vielleicht legst du sogar eine Liste an. Dann, ganz wichtig: Bewege dich und gehe an die frische Luft! Achte auf körperliche Aktivität, vielleicht auch gemeinsam mit anderen – zu zweit oder in der Gruppe geht es mit der Motivation besser. Ernähre dich gesund, koche selbst, gerne auch für andere – sei auch experimentierfreudig und probiere etwas aus, das du noch gar nicht kennst.
Rufe dir auch Situationen in Erinnerung, in denen du Probleme gelöst oder etwas Besonderes geschafft hast. Etwa eine besonders speziell schwierige Prüfung, die du geschafft hast, oder wie du jemandem in Schwierigkeiten geholfen hast. Wenn du den Eindruck hast, dass mehr als Motivationsmangel dahintersteckt, lasse dich bei deinem Hausarzt oder deiner Hausärztin untersuchen (Eisen, Vitamine, psychische Gesundheit).
«Manchmal packt mich die Panik. Dann habe ich solche Angst, obwohl ich gar nicht sagen kann, wovor.» Wie kann ich mit dieser Angst besser umgehen?
Wenn dich die Angst packt, atme bewusst und versuche, Achtsamkeitsübungen anzuwenden. Dafür gibt es verschiedene Apps. Auch körperliche Bewegung kann helfen – am besten einmal täglich. Triff dich mit Freund:innen, schmiede Zukunftspläne und freue dich darauf. Und besonders wichtig: Wähle eine Vertrauensperson, der du dich öffnen und von deinen Sorgen erzählen kannst.
«Was kann und soll die Politik tun, um die psychische Gesundheit von Jugendlichen zu fördern?»
Früh- und Kurzinterventionsprogramme sollten gefördert werden, also niederschwellige Beratungsangebote in Kliniken, Schulen, Universitäten und im Beruf. Es braucht einen Ausbau der bestehenden Versorgungsstrukturen in psychiatrischen und psychologischen Einrichtungen wie Kliniken, Praxen und Beratungsstellen. Im Kanton Zürich wurden etwa bereits Gelder gesprochen, mit denen Angebote entwickelt und ausgebaut werden. Aber das reicht noch nicht aus.
Helplines und Online-Angebote sollten ausgebaut werden, wie jene von Pro Juventute oder der Dargebotenen Hand. Ebenso Erste-Hilfe-Kurse für die psychische Gesundheit, die jede und jeder absolvieren kann, etwa die ensa-Kurse von Pro Mente Sana.
Erstellt von Ann-Kathrin Amstutz